Geigen im Metzgerladen

Im bayerischen Mittenwald hat der Instrumentenbau lange Tradition – noch heute prägt er den Ort

  • Özlem Yilmazer, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.
Etwa ein Dutzend Geigenbaumeister leben in der oberbayerischen Marktgemeinde Mittenwald. Jährlich kommen Tausende, um sich eine hochwertige Mittenwalder Geige zu kaufen.

Mittenwald. »Ich baue nur das, was mir gefällt. Hänge das dann hin und warte bis jemand kommt und sich in das Instrument verliebt«, sagt Anton Sprenger voller Leidenschaft über seine Zunft. Er gehört zu dem runden Dutzend Geigenbaumeister in der oberbaye-rischen Marktgemeinde Mittenwald. Vor etwa 325 Jahren brachte der Mittenwalder Matthias Klotz dieses feine Handwerk aus Italien in die 7400-Seelen-Gemeinde. Seither gilt die Geige und vor allem ihr Bau als Symbol der Ortschaft am Fuße des Karwendels.

Die Mittenwalder Tradition ist weltweit bekannt. Vor allem junge Menschen aus Korea, Japan und Osteuropa zieht es an die Mittenwalder Geigenbau-Schule, die 1858 gegründet wurde. Jährlich kommen Tausende, um sich eine hochwertige Mittenwalder Geige zu kaufen. Erst im Mai lockte der 6. Internationale Geigenbau-Wettbewerb für die Streichinstrumente Geige, Bratsche, Cello und Bogen tausende Gäste an.

Bei einer Geige werden insgesamt drei Holzarten verwendet, erklärt Florian Sandner im Geigenbau-Museum, das es seit 1930 gibt. Für die Decke wird das Holz der Fichte verwendet. Die Fichten müssen in einer Höhe von mindestens 1000 Metern wachsen und der Stamm sollte bis zu einer Höhe von vier Metern astfrei sein, um für den Geigenbau infrage zu kommen. Das Holz sollte mindestens zehn Jahre gelagert sein. Geigenbauer Sprenger verwendet nur noch Fichten aus den Dolomiten, dort sei der Niederschlag geringer und das Holz somit leichter. Für den Boden, die Zargen und den Hals der Geige wird gern geflammter Ahorn aus Bosnien genommen. Helle und dunklere Flammen reflektieren und tragen auch zur Schönheit einer Geige bei. Dunkles Ebenholz wird im Griffbrett, in den Wirbeln und Saitenhaltern benutzt.

Lob der Asymmetrie

»Seit 180 Jahren wird in meiner Familie Geige gebaut. Ich habe mich mit dieser Familientradition beschäftigt. Gut, bei welcher Familie in Mittenwald ist das nicht Tradition«, fragt sich Sprenger. Sein Cousin Leo Sprenger hat seine Werkstatt in unmittelbarer Nähe und baut Zupfinstrumente. Auch dessen Sohn Andreas will die Familientradition fortführen.

Anton Sprenger gehört zu den Geigenbauern, die sich auch selbst Zeit für das Geigespielen nehmen – beispielsweise im Kirchenchor – und das genießen. Nicht die pedantisch genaue Feinmechanik und die nahezu perfekte Annäherung an die Modelle italienischer Geigenbaumeister wie Antonio Stradivari oder Giuseppe Guarneri der sogenannten Cremona Schule stehen für Sprenger im Vordergrund. »Ich habe meine eigene persönliche Geschichte drin. Ich will, dass die Leute ein Original von Anton Sprenger haben und nicht eine Kopie.« Für viele ist aber gerade die Annäherung an die großen Meister das Ideal.

Sprenger verwendet eine Form Guarneris als Vorlage, verleiht dem Instrument aber einen individuellen Charakter. Seine Geigen sind nie ganz symmetrisch. »Die am besten klingenden Geigen haben eine gewisse Asymmetrie.«

Das Streichinstrument aus präzise ausgearbeitetem Holz taucht überall in Mittenwald auf. Ob in den Schaufenstern der Einkaufsgassen oder an den mit Malereien verzierten Fassaden der Häuser. Sogar beim Metzger hängt eine Geige in der Vitrine. Am Eingang des Geigenbau-Museum ragt eine goldfarbene Geige in den blauen Himmel. Viele der Mittenwalder Geigenbaumeister arbeiten mit dem Museum zusammen; sie führen durch das Haus oder geben eine Einführung in ihre Kunst.

Die Werkstatt Sprengers ist ordentlich und mit viel Liebe zum Detail eingerichtet. An Wänden und Decken hängen teils fertige, teils sogenannte »weiße Geigen«, die gerade an der Luft trocknen und nach der Grundierung den UV-Strahlen der Sonne ausgesetzt werden. Hat sie mehrere Monate lang Sonne getankt, wird die Geige in mehreren Schichten lackiert – unter anderem mit Leinöl und geschmolzenem Bernstein. Zum Trocknen hängen die Geigen danach an Fenstern und Balkonen. Das sei der Grund für das Sprichwort: »Der Himmel hängt voller Geigen«, erzählt Geigenbauer und Museumsführer Sandner.

Bis zu 10 000 Euro

Mit dunkelgrüner Schürze sitzt Sprenger an seiner Werkbank und sticht die Innenwölbung einer Geigendecke aus. Rund zwei Monate nimmt er sich Zeit für eine Geige. Er arbeitet nicht auf Bestellung, für ihn verlangt der Geigenbau Leidenschaft und viel Gefühl. »Wenn man hochwertige Instrumente baut, kann man nicht auf die Uhr schauen.«

In der Regel braucht ein Geigenbauer 200 Arbeitsstunden für eine handgefertigte Geige. Die kostet dann bis zu 10 000 Euro. Sprenger baut seine Geigen mit dem Anspruch, dass sie mehr als nur ein Musikerleben überdauern und mehrere hundert Jahre halten. Er ist fest überzeugt: »Einem Baum kann nichts besseres passieren, als eine Geige zu werden.«

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