Rechtlose Seeräuber

Historische Studie zur Figur des Piraten

  • Gerhard Hanloser
  • Lesedauer: 3 Min.
Sie wehte gerne auf besetzten Häusern, die durch die Obrigkeit zuweilen als »rechtsfreie Räume« denunziert wurden: die Piratenflagge. Wie der Pirat sich zum Recht verhält will ein Buch klären.

Das Buch von Daniel Heller-Roazen kommt zur rechten Zeit, denn die Piraterie in internationalen Gewässern nimmt weltweit seit Mitte der 90er Jahre sprunghaft zu. Der Pirat schien bis dahin eine untergegangene, mythenumwobene Figur zu sein, irgendwo zwischen Schauerfigur und Sozialrebell angesiedelt. Die Punk-Band Slime besang ihren Störtebeker, Autonome und Wagenburgbewohner sahen lange Zeit irgendwie immer wie Piraten und Piratinnen aus. Und Filme wie »Der Fluch der Karibik« mit ihrer verwirrenden Handlungsstruktur und ihren bunten Piratenfiguren passen in eine vollkommen unüberschaubar gewordene Welt, präsentierten aber nochmals das glanzvolle Bild des subversiven Piraten.

Die wirklichen Piraten der Jetztzeit jedoch, die vornehmlich vor den Küsten Afrikas auf Beutezug sind, rekrutieren sich meist aus verarmten Fischern, scheinen aber in Teilen auch eine ganz beachtliche mafiöse Struktur aufzuweisen. Zur Zeit läuft in Hamburg eine vielbeachtete Verhandlung gegen somalische Piraten – der erste Piratenprozess seit Jahrhunderten.

Ein universeller Feind

Weder sozialhistorische noch ästhetische Fragen bewegen den Literaturwissenschaftler Daniel Heller-Roazen in seiner essayistisch geschriebenen Studie zu dem Piraten als »Feind aller«. Tatsächlich war der Pirat historisch der Prototyp der Rechtlosigkeit, von den Herrschenden seit Cicero stets als »communis hostis omnium«, als gemeinsamer Feind aller, verfolgt. Ihn galt es unerbittlich zu jagen und zu vernichten – im Kampf gegen den Piraten durfte der staatliche Gewaltmonopolist selbst rechtsfreie Räume schaffen und extralegal agieren. In Diskussionen im Mittelalter sollte der Pirat jenseits des ius belli liegen, weil rechtmäßige Feinde stets souveräne öffentliche Personen seien, wohingegen der Pirat nichts anders sei als der »Feind des Menschengeschlechts«. Noch in der Aufklärung taucht der Pirat wieder auf als »Ungeheuer der menschlichen Gattung«. Stark an der Philosophie Giorgio Agambens orientiert sucht Heller-Roazen die Figur des von der Gesellschaft Ausgeschlossenen, die Figur des Anderen, der keinerlei rechtlichen Schutz geniest. Leider sind in der Darstellung sämtliche sozialhistorischen Bezüge gekappt, zeigen doch die beiden Historiker Peter Linebaugh und Marcus Rediker in ihrer Studie über die verborgene Geschichte des revolutionären Atlantik, dass vornehmlich im 17. Jahrhundert die Piraten eine zur Verfolgung und Vernichtung freigegebene Gruppe waren. Es ging nicht so sehr darum, im Diskurs einen radikal Anderen zu konstruieren, sondern die real existierende »vielköpfige Hydra« in den Griff zu bekommen, die als revolutionäre Gefahr angesehen wurde.

Sozialgeschichte ausblendend kommt der Autor so auch auf einige Ab- und Holzwege, wenn er beispielsweise eine Kontinuität des Piratendiskurses in dem Begriff »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« sehen mag, der 1945 durch die Londoner Charta für den Nürnberger Internationalen Militärgerichtshof geprägt wurde. Doch Heller-Roazen macht darauf aufmerksam, dass in der Markierung eines »Feindes aller« eine Gefahr besteht, die sich durch die Geschichte zieht und sich bis zu den rechtlosen Guantanamo-Häftlingen durchzieht.

Daniel Heller-Roazen, Der Feind aller. Der Pirat und das Recht, S. Fischer Verlag, 348 S., 22,95 €.

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