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Gab es ein vorgefertigtes Urteil?

Gewerkschafter Michael Hermund über den Bochumer »Tortenprozess«

  • Lesedauer: 3 Min.
Michael Hermund ist Regionsvorsitzender des DGB Ruhr-Mark. Foto: Bochum gegen Rechts
Michael Hermund ist Regionsvorsitzender des DGB Ruhr-Mark. Foto: Bochum gegen Rechts

ND: Die Webseite bo-alternativ.de hat im Oktober 2008 über geplante Aktionen gegen eine NPD-Demonstration berichtet. Dokumentiert wurde auch ein Plakat mit einer Comicfigur. In der Hand hält sie, je nach Standpunkt, eine Torte oder eine getarnte Bombe. Damit habe bo-alternativ.de zur Gewalt aufgerufen, sagt Staatsanwältin Sabine Wenzel. Ist das für Sie nachvollziehbar?
Hermund: Ist auf der Torte eine Wunderkerze oder eine Lunte? Darum geht es vordergründig. Aber eigentlich geht es um etwas ganz anderes: entweder um ganz persönliche Probleme der Staatsanwältin mit dem Angeklagten – oder darum, ein bundesweites Exempel zu statuieren.

Der Angeklagte Martin Budich, verantwortlicher Redakteur von bo-alternativ.de, wurde in einem ersten Prozess frei gesprochen ...
... auch auf Antrag der Staatsanwaltschaft ...

... dann kam es zur Revision, schließlich zum erneuten Prozess. Das Urteil diese Woche: 30 Tagessätze à 50 Euro. Halten Sie das für eine angemessene Strafe?
Hier wurde ein Mensch angeklagt und verurteilt, der nichts getan hat, als seiner journalistischen Sorgfaltspflicht nachzukommen, indem er im Vorfeld über die verschiedenen Kundgebungen berichtete. In dem ganzen Ablauf gibt es einen Knick: Mehrere Tausend Polizisten kümmerten sich darum, dass die Nazis durch Bochum marschieren konnten. Auf unserer Seite, wo mehrere Tausend Menschen demonstrierten, waren kaum Polizisten. Das zeigt meines Erachtens, von wem Gewaltgefahr ausgeht. Der Polizei ist nichts Schlimmes bei den Gegendemonstranten aufgefallen – keine Waffen, keine Gewalt, nichts. Sie bedankte sich bei allen Teilnehmern.

Kurz darauf kam die Anklage gegen Martin Budich – wegen Aufrufs zu Gewalttaten. Im Prozess trat Staatsanwältin Wenzel sehr aggressiv auf, sie hat Budichs Rechtsanwältin immer wieder unterbrochen. Die Richterin rief die Staatsanwältin nicht zur Besonnenheit auf.

Nach der NPD-Demonstration wies das Bochumer Landgericht eine Klage wegen Volksverhetzung gegen den Redner Thomas Wulff ab. Es ging um Ausländer-raus-Parolen und den NSDAP-Slogan »Deutsche, wehrt Euch!« Die Aussagen von NPD-Bundesvorstand Wulff ließen »strafrechtlich irrelevante Deutungen zu«, erklärte ein Gerichtssprecher. Und diese Deutungen müssten zugunsten des Verklagten zu Grunde gelegt werden. Warum gelten bei Martin Budich strengere Maßstäbe?
Das müssen Sie eher die Staatsanwältin fragen. Meine Deutung: Wir haben mehrere Tausend Demonstranten gegen die 100 NPDler mobilisiert. Ich glaube, das ist der Staatsanwältin ein Dorn im Auge. Sie will das demokratische Bochum einschüchtern – das sollte mit dem Prozess gegen Martin Budich bezweckt werden. Die Polizei hat seinerzeit übrigens auch ein Nazi-Transparent einkassiert: »Multikulti ist Völkermord!« Das Verfahren endete mit einer Einstellung.

Im Gegensatz zum »Tortenprozess«: Da soll die Richterin ein vorgefertigtes Urteil gezückt und verlesen haben.
Das scheint so zu sein. Aus ihrer Mappe hat sie am Ende der Sitzung ein beschriebenes Papier hervorgezogen. Das ist nicht unbedingt dramatisch: Wenn man sich vorher mit dem Prozess befasst hat, kann man ja schon einmal etwas vorformulieren. Aber die im Prozess vorgetragenen Argumente des Angeklagten finden sich darin nicht wieder. Ich bin gespannt, ob das auch für die schriftliche Urteilsbegründung gelten wird. Fragen: Marcus Meier

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