Krisen-Pflegeeltern gesucht

Kinderschutz-Hotline 61 00 66: Anzahl der Betroffenen stieg in einem Jahr von 1033 auf 1478

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Berliner Kinder- und Jugendnotdienst wehrt sich gegen Vorwürfe, es mangle gravierend an geschultem Personal. »Das stimmt so nicht«, widerspricht Thomas Harkenthal, Amtsleiter der Abteilung Jugend, Familie und Schule beim Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg. In diesem Bezirk hat der Notdienst seinen Sitz. Die Kritik sei nicht nachvollziehbar. Immer wieder rückten Sozialarbeiter nach, die an der sozialpädagogischen Ausbildungsstätte Berlin-Brandenburg geschult wurden. »Eine hochprofessionelle Institution«, so Harkenthal.

Bei der für die Nothilfeeinrichtung zuständigen Senatsverwaltung für Bildung sieht man schon, dass die Arbeitsbelastung bei den Jugendämtern in den Bezirken zugenommen hat. »Das ist aber kein spezielles Berliner Problem«, meint Petra Eichler, Leiterin der dort angesiedelten Arbeitsgruppe »Kinderschutz und Prävention«. Seit Einrichtung der rund um die Uhr erreichbaren Kinderschutz-Hotline im Jahre 2007 habe jede Behörde vom Senat zwei zusätzliche Stellen bekommen. »Und in diesem Jahr gab es pro Amt nochmals eine Stelle dazu«, sagt Eichler. Das »Gesetz zum Schutz und Wohl des Kindes« wurde im Januar 2010 verabschiedet. Darin wurde laut Landesjugendamt auch die Grundlage für die Hotline verankert.

Eichler räumt ein, dass 2009 in den Jugendämtern allerdings 147 Stellen ermittelt wurden, die aus Altersgründen frei wurden. »Die sind aber schon wieder besetzt oder werden es im Laufe des Jahres sein«, so Eichler. Zum Teil kommen die Mitarbeiter aus dem zentralen Personalmanagement des Landes Berlin, zum Teil vom freien Arbeitsmarkt. »Die Belastung ist uns bekannt«, meint sie. Bei der Jugendhilfe gebe es aber ein Fachkräftegebot. »Das heißt, die Stellen müssen immer mit diplomierten Sozialpädagogen oder gleichwertigen Fachkräften besetzt werden.« Pro Jahr gibt es für den Notdienst vom Senat 200 000 Euro Personalmittel und rund 70 000 Euro für Sachmittel.

Die Hotline hat sich als schnelles und niedrigschwelliges Hilfsangebot bewährt, so die einhellige Meinung von Bezirk und Senatsverwaltung. Die Zahl der Anrufe stieg von 2008 zu 2009 um 16 Prozent. Die Berliner hätten den Appell angenommen, beim Verdacht auf Misshandlungen keine falsche Scheu zu zeigen. »Lieber einen Anruf zu viel als einen zu wenig«, betonen die Sozialarbeiter immer wieder. Die Berliner seien sensibilisiert und griffen »sicherheitshalber« öfter zum Telefon, seit es die Hotline gibt. Die Anzahl der betroffenen Kinder und Jugendlichen habe sich von 2008 zu 2009 von 1033 auf 1478 erhöht.

Oft rufen aber auch Betroffene selbst an. So melden sich immer mehr Eltern, die sich überfordert fühlen, Entlastung brauchen oder auch erst einmal eine Beratung. Während die Hotline meist Erwachsene nutzen, um Fälle von Missbrauchsverdacht anzuzeigen, können sich bei den Notdiensten Kinder und Jugendliche selbst melden. Erst, wenn es gar nicht mehr anders geht, werden die Kinder aus den Familien genommen und kurzfristig bei Pflegeeltern untergebracht. »Das ist in jedem Fall besser, als sie in ein Heim zu stecken«, betont Eichler. Unterbringung bei »Krisen-Pflegeeltern«, heißt das im Fachjargon. Davon werden in jedem Bezirk noch mehr gebraucht.

Monika Herrmann (Grüne), die zuständige Stadträtin beim Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, ist überzeugt: »Das Angebot zur Betreuung von Kindern und Jugendlichen bei Verdacht der Gefährdung oder Misshandlung ist für die Stadt alternativlos. Eine weitere auskömmliche personelle und finanzielle Ausstattung ist auch weiterhin dringend erforderlich.«

Der Humanistische Verband in Berlin verabschiedete jetzt eine eigene »Richtlinie zum Schutz des Kindeswohls – Prävention von sexuellen Übergriffen und Verhalten bei Verdachtsfällen«. Sie soll in den Einrichtungen und Projekten des Verbandes angewendet werden. Die Mitarbeiter seien künftig verpflichtet, einen Missbrauchsverdacht auf jeden Fall zu melden. Der Humanistische Verband ist Träger von 23 Kindertagesstätten und drei Jugendfreizeiteinrichtungen. Fast 50 000 Schüler nehmen in Berlin am humanistischen Lebenskundeunterricht teil.

Hilfe in der Not

  • Kinderschutz-Hotline: 61 00 66
  • Kindernotdienst: Tel. 61 00 61, Gitschiner Str. 49, Kreuzberg
  • Jugendnotdienst: Tel. 61 00 62, Mindener Str. 14, Charlottenburg
  • Mädchennotdienst: Tel. 61 00 63, Mindener Str. 14
  • Kontakt- und Beratungsstelle: Tel. 61 00 68 00, Fasanenstr. 91, Charlottenburg
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