Kranke Maschine, Keramik, Grafiken, Glasflaschen

Über Kunstsammlungen und Kunstsammler aus Potsdam informiert ein Buch mit dem Untertitel »100 Jahre Kunst ohne König«

Lothar Lang nannte es im Jahre 1960 »ein schönes, verschmitzt-ernstes künstlerisches Dokument der tapferen Tüchtigkeit, mit der die Arbeiter die Anfangsschwierigkeiten beim Wiederaufbau und Neubau der jetzt von ihnen regierten Wirtschaft überwanden«. Diether Schmidt sprach 1978 von einem der »humorigsten Bilder unseres industriellen Aufbaus aus der Phase des Zweijahresplanes«. 1949 malte Magnus Zeller (1888-1972) das Ölbild »Die kranke Maschine«. Das Potsdamer Stadtmuseum kaufte es.

Um »Privates und öffentliches Sammeln in Potsdam« geht es in einem gleichnamigen Buch aus dem Lukas Verlag. Magnus Zeller steht für beide Varianten. Die öffentliche Hand erwarb »Die kranke Maschine« und er selbst verfügte über viele Kunstwerke, vor allem Grafiken. Es sei nicht belegt, dass Zeller jemals Geld für eins der Blätter aufgewendet habe, heißt es. Es handelte sich um Geschenke von Künstlerkollegen.

So besaß Zeller Radierungen von Hermann Struck (1876-1944). Der orthodoxe Jude und Zionist diente im Ersten Weltkrieg als Postordonnanz beim Buchprüfungsamt des Oberkommandos Ost an der russischen Front. Er holte den zunächst als Armierungssoldaten verpflichteten Zeller in die Presseabteilung des Oberkommandos. Zeller illustrierte dort eine Kriegszeitung, aber nicht nur das, er traf auf einen »illustren Intellektuellenzirkel«, zu dem auch die Schriftsteller Richard Dehmel und Arnold Zweig gehörten. Illustrationen Strucks, aber auch des Pastorensohns Zeller spielten später eine Rolle bei der Neubewertung des Ostjudentums. Statt eines überwunden geglaubten Stadiums der jüdischen Kultur in Europa sollte es zu einer Quelle kultureller Identität werden. Darum verwundert es, wie sich Zeller 1933 zunächst mit den Nazis arrangieren konnte. Doch ab 1938 schuf er im Verborgenen antifaschistische Kunst wie das Gemälde »Der totale Staat«.

Potsdam ist berühmt für die Kunstschätze in seinen Königsschlössern. Hier dreht es sich jedoch um die Aktivitäten bürgerlicher Mäzene, von denen einige vor rund 100 Jahren für die Gründung eines Kunstvereins sorgten. In dem Buch werden Kunstsammler der Vergangenheit porträtiert und solche der Gegenwart anonym interviewt.

Da gab es den Keramikspezialisten Paul Heiland (1870-1933), der in seiner Wohnung allein rund 2700 Fayencen aufbewahrte, oder den Geschichtsphilosophen Kurt Breysig (1866-1940), der einen Weiheraum in seinem Haus in Rehbrücke mit Kunstwerken bestückte. Zu seinem Besitz zählten die Holzschnitte »Ägypterin« und »Ritter« von Emil Nolde. Die Sammlung wurde 1944 versteigert, nachdem der faschistische Staat das Vermögen von Breysigs Witwe eingezogen hatte.

Der jüdische Bankier Jakob Goldschmidt (1882-1955) konnte es sich leisten, seine Villa am Griebnitzsee repräsentativ mit Antiquitäten auszustatten. Doch als sich seine Danat-Bank 1931 als zahlungsunfähig erwies, erschütterte dies das deutsche Bankensystem. Der Dresdner Bank, bei der er mit 3,7 Millionen Reichsmark in der Kreide stand, musste er seine Villa samt der darin befindlichen Kunstschätze überlassen. Er durfte jedoch weiter dort wohnen. 1933 emigrierte der Bankier über die Schweiz in die USA. Die Nazis raubten ihm sein restliches Vermögen. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es Goldschmidt, einen Teil seiner Antiquitäten rückübertragen zu bekommen – und dies ungeachtet seiner Pleite bereits 1931.

In der DDR fehlten natürlich die schwerreichen Industriellen und Bankiers, die als Mäzene in Frage kamen. Dafür förderte der Staat die Kunst massiv, wobei er allerdings nicht wenige Künstler gängelte. Private Kunstsammler wie den Potsdamer Kinderarzt Herwig Hesse gab es, doch schwebte über einigen Sammlern das Damoklesschwert der Enteignung. Denn Antiquitäten konnte die DDR in den Westen verkaufen und Devisen brauchte sie immer.

Das Spektrum der Interviewten reicht von einem Sammler nicht impressionistisch gemalter Landschaften des 19. Jahrhunderts bis zu einem, der die beste Sammlung von DDR-Kunst zusammenkaufen würde, wenn er beim Lotto den Jackpot knackt und 30 Millionen Euro gewinnt. Außerdem gesprochen wurde mit einem Bewahrer von Glasflaschen, der sich aber auch freute, als er endlich ein Exemplar von Käthe Kollwitz' Plakat »Nie wieder Krieg!« von 1924 ergattern konnte.

»Privates und öffentliches Sammeln in Potsdam. 100 Jahre Kunst ohne König«, Lukas Verlag, 246 Seiten (brosch.), 25 Euro, ND-Buchbestellservice, Tel.: (030) 29 78 17 77

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