Überwachungsmanie der Polizei?

Wolfgang Ehmke zum Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts

  • Lesedauer: 3 Min.
Wolfgang Ehmke ist Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg.  Foto: dpa
Wolfgang Ehmke ist Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. Foto: dpa

ND: Am 18. September dieses Jahres ist wieder eine Anti-Atom-Großdemonstration in Berlin geplant. Glauben Sie, dass die Polizei nach dem Erfolg Ihrer Bürgerinitiative in dieser Woche vor dem Berliner Verwaltungsgericht dann wieder filmen wird?
Ehmke: Das müssen sie unterlassen, denn der Polizei wurde ja gerade attestiert, dass das Filmen von friedlichen Großveranstaltungen rechtswidrig ist.

Als Demonstrationsteilnehmer ist man in Berlin abgestumpft angesichts der Überwachung. Wie sind Sie überhaupt darauf gekommen, sich nach der Großdemo im September 2009 gegen das Filmen vor Gericht zu wehren?
In Gorleben wurde, wenn wir demonstrieren, auch bei kleineren Ereignissen immer gefilmt. Dagegen konnten wir erfolgreich intervenieren. Manchmal reichten sogar Gespräche und die Filmerei wurde ausgesetzt. Dazu kam in Berlin persönliche Betroffenheit: Die Menschen, die in der ersten Reihe demonstrierten, so wie ich auch, haben sich erst gewundert, dann sehr geärgert, dass permanent aus verschiedenen Kameras die Demospitze abgefilmt wurde. Auf den ersten Blick war nicht einmal erkennbar, dass es sich um ein Polizeifahrzeug handelte. Trotz unserer Forderung, das Filmen einzustellen, hat die Polizei weitergemacht. Was soll diese Praxis, das ist Einschüchterung.

Die Polizei behauptet, das Übertragen dieser Bilder, die nicht gespeichert werden, diene nur der Verkehrslenkung und der Leitung des Einsatzes.
Niemand weiß, ob die Bilder gespeichert werden. Wenn jemand in einer beruflichen Position ist und nicht möchte, dass sein Arbeitgeber sieht, dass er an einer Demo teilnimmt, dann kann es dazu führen, dass er auf die Teilnahme verzichtet. Ich könnte auch laut Parolen skandieren, ein Transparent tragen, unterlasse es aber, weil ich weiß, ich werde gefilmt. Die Richter haben argumentiert, es sei der Effekt der Filmerei, dass Menschen anfangen, sich polizeigerecht zu verhalten. Zum Zweiten: Eine Demonstration wird sowieso durch Polizisten überwacht, die sich in Uniform oder auch ohne unter die Demonstranten mischen. Eine Lageeinschätzung gewinnt die Polizei auch ohne Kameras.

Die Einschüchterung ist so stark, dass Menschen wegbleiben?
Das wäre das Schlimmste. Das wollen wir auf keinen Fall. Wir wollen Menschen ermutigen, weiter auf die Straße zu gehen, denn es geht doch um nichts weniger als die künftige Energiepolitik. Es geht um den Atomausstieg. Uns geht es auch um den Stopp des Endlagerprojekts in Gorleben, und gerade jetzt, unter Schwarz-Gelb, brauchen wir den massenhaften Protest, denn auf diese Art und Weise werden wir mit unseren Themen ernst genommen, sind wir ein politischer Player.

Das Berliner Verwaltungsgericht ist Ihrer Argumentation gefolgt.
Das ist die Linie des Bundesverfassungsgerichts: Das Filmen und das Erheben von Daten von Teilnehmern ist ein Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung und in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Diese Rechtsprechung begrüßen wir sehr, da wir als außerparlamentarische Initiativen von diesem Grundrecht zehren.

Es wurde Revision eingelegt. Sie gehen durch alle Instanzen?
Aber sicher. Schließlich geht es nicht nur um diese Berlin-Demonstration, sondern darum, dass das Grundrecht auf Demonstrationen nicht eingeschränkt wird. Deshalb sind wir auch am 11. September bei der Demo »Freiheit statt Angst« dabei. Wir wehren uns grundsätzlich gegen die Überwachungsmanie. Fragen: Martin Kröger

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