Ab jetzt ohne Netz

Im Nordosten verlieren 1100 Schiffbauer den Job

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach einem Jahr Warten in einer Transfergesellschaft heißt die Alternative für viele Werftarbeiter in Wismar und Warnemünde: Wegziehen – oder weniger haben. Die Werften selbst sehen weiter in eine ungewisse Zukunft.

Es gibt mal wieder etwas Neues aus dem geschäftlichen Leben von Vitali Jussufow: Ausgerechnet am Freitag berichtete die »Ostseezeitung«, der Geschäftsmann, der auch die früheren Wadan-Werften in Wismar und Warnemünde als »Nordic Yards« weiterführt, wolle massiv in den russischen Mobilfunkmarkt einsteigen.

Ausgerechnet, weil mit diesem Wochenende für die meisten der früheren Werftarbeiter das Kapitel Nordic abgeschlossen ist. Mit dem Monat endet auch die Transfergesellschaft, in der die Mehrzahl der einst fast 2500 Beschäftigten ein Jahr lang aufgefangen, beschäftigt und qualifiziert wurde. Jetzt wartet auf sie die Arbeitslosigkeit – und nach einem Jahr womöglich Hartz IV.

Gewerkschaft lobt Transfergesellschaft

19 Millionen Euro hat es nach Angaben der Transfergesellschaft gekostet, diese Betreuung ein Jahr lang aufrechtzuerhalten. Am Ende ist die Bilanz gemischt: Etwa die Hälfte der Beschäftigten hat eine neue, sozialversicherte Arbeitsstelle, die meisten davon, rund 880 können auf den Werften bleiben. Aber 1100 meist gut ausgebildete Fachkräfte müssen sich zunächst auf dem Amt melden – und zusätzliche 200 Stellen waren befristet und sollten ebenfalls zum 31. Juli auslaufen. Die Arbeitsagenturen in Rostock und Wismar rechnen damit, 500 beziehungsweise 800 frühere Schiffbauer auch längerfristig betreuen zu müssen.

Dennoch verteidigt die Gewerkschaft die Transfergesellschaften. »Die Maßnahme war richtig. Die Mannschaft und ihr Know-how wurden zusammengehalten«, so der Schiffbaureferent der IG Metall Küste Heino Bade. Noch vor Jahresfrist sei der Schiffsmarkt fast vollständig zusammengebrochen, inzwischen gibt es wieder Perspektiven. Die Zwischenfinanzierung durch das Land erhalte insofern die Chance, die »industriellen Kerne zu wahren«.

Schwieriger Umstieg in die Zukunft

Bislang wurden zwei Job-Messen für die Beschäftigten ausgerichtet, bei denen sich überwiegend Zeitarbeitsfirmen präsentierten, auch aus dem Ausland. Dass sich die nicht übernommenen Ex-Mitarbeiter zumindest auf geringere Löhne einstellen müssen, verhehlt selbst die Arbeitsagentur nicht. Der Chef der Wismarer Dependance, Edgar Macke, hat ganz offen von der Alternative gesprochen, vor der sie jetzt stehen: das Land verlassen, weite Pendelwege fahren – oder erhebliche Einbußen am Einkommen akzeptieren. Und sein Rostocker Amtskollege Christoph Möller sagt: »In der Region sind die Chancen auf einen tarifgebundenen, unbefristeten Arbeitsplatz momentan gering.«

Aber auch die Schiffbauer, die vorerst bei Nordic bleiben können, haben sich auf einen »Beschäftigungspakt« mit erheblichen Einschnitten eingelassen. Dessen erklärtes Ziel war ein Einpendeln der Beschäftigtenzahl bei 1600 – fast doppelt so viel wie heute tatsächlich vorhanden.

Jussufow hat allerdings alle seine Zusagen an die Auftragslage geknüpft. Und mit den Ordern von Aufträgen sieht es weiter durchwachsen für die beiden Werften. Eine große Enttäuschung ist gerade mal drei Wochen her: Damals verkündete die Bremer Beluga-Reederei, vier Errichtungsschiffe für Windplattformen doch nicht bei Nordic in Auftrag zu geben, sondern bei der Konkurrenz. In Aussicht steht ein eisbrechender Tanker für Norilsk Nickel, dessen Finanzierung aber noch nicht ganz geklärt scheint. Dafür gab Siemens Energy im Juli eine Ausrüsterplattform für Offshore-Windanlagen in Auftrag.

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