Kulturelles Multiplex im Wandel

  • Charlotte Noblet
  • Lesedauer: 7 Min.
„Was ist aus dem Haus der jungen Talente geworden?“ wollte gerne eine Person erfahren, als ich von unserem Blog über verborgene Orte im Osten von Berlin erzählte. Von dem Gebäude in der Klosterstraße 68-70 hatte ich noch nie was gehört. „Das ist ja eine sehr rückwärts gewandte Recherche, die Sie betreiben“ war die erste Reaktion dort. Dann ging es aber mit einer tollen Zeitreise los…
Kulturelles Multiplex im Wandel

Ein barockes Stadtpalais wurde Anfang der 50er durch freiwillige Aufbauschichten von FDJ-Mitglieder/innen gezaubert bzw. in seiner ursprünglichen Gestalt aufgebaut. Erstaunlich: „Das Zentrum der kulturellen Arbeit der Berliner Jugend“, wie die Berliner Zeitung damals berichtete, war in einem Immobilienschmuck aus dem XVIII. Jahrhundert beherbergt. Auf den ersten Blick überrascht die schicke Fassade des "Podewils’schen Palais", hinter welchem klare kulturelle und politische Bildungsziele für die Jugendlichen in der DDR verfolgt wurden. Im heutigen Hof fällt es erst schwer, sich die „Solidaritätsbasars“ des „zentralen Klubhauses der FDJ“ vorzustellen, bei dem lauter Jugendliche in der DDR-Zeit selbstgemachte Produkte für Freiheitskämpfer oder Bruderländer verkauft haben. Nach ein paar Minuten verschwinden aber die Nachbarn mit Kaffee und Laptops auf der schönen Terrasse und die Zeitreise geht los: Dr. Gabriele Miketta erinnert sich an das Haus der jungen Talente (HdjT), wir sind in den 70er Jahren, mitten in der Hauptstadt der DDR. Nach einem Brand 1966 wurde das Gebäude gerade nochmal vollständig wiederhergestellt und diente weiter als zentrale Einrichtung musisch-künstlerischer Ausbildung für Jugendliche im außerschulischen Bereich.

Ein multifunktionaler Produktions- und Veranstaltungsort im Bereich Kulturbildung

„Dieses Konstrukt war überhaupt nicht alternativ, sondern komplett politisch gesteuert“, erzählt die Berlinerin, Jahrgang 62. „Es hatte nichts mit der 68er Bewegung zu tun, sondern mit sozialistischen Erziehungsidealen. Das Klubhaus war offiziell und wurde deswegen manchmal nicht ganz angenommen, aber es gab immer wieder große Veranstaltungen und die waren echt attraktiv.“ Dr. Gabriele Miketta erinnert sich besonders an das jährliche Festival des politischen Liedes, wo Künstler aus dem Westen auftraten. „Es waren natürlich Bands, die die Ideale unseres Staats teilten, aber sie kamen trotzdem aus dem spannenden Westen und wir konnten sie live erleben.“ Das Festival zählte zu den bedeutendsten Veranstaltungen für Jugendliche aus der gesamten DDR. Kartenkontingente wurden auch in Betrieben verteilt, damit nicht nur Studenten und Schüler, sondern auch Lehrlinge daran kommen. „Eine gewisse Gleichheit war da.“

Das Haus der jungen Talente war in der DDR-Zeit eine bekannte Adresse für Jugendliche und junge Erwachsene. Töpfern, Tanzen, Theater, Zeichnen, Textilgestaltung, Fotografie, aber auch Anwendung von Computern mit der Gründung des Computerklubs 1986: „Viele hundert Mädchen und Jungen sind in den rund 50 Zirkeln und Arbeitsgemeinschaften schöpferisch tätig“ schrieb 1965 Neues Deutschland. Anscheinend waren die Ressourcen im kulturellen Bereich im Vergleich zu heute hervorragend, sowohl was Material als auch was Personal angeht.

Eine Vielfalt an Musikveranstaltungen wurde angeboten. „Musik für Fans“ mit Rockformationen, „Neue Gemütlichkeit“ mit Jazz-Musikern oder auch der „Oktoberklub-Keller“ mit Volkstanz. „Es war eine ganz komische Melange“, erinnert sich Dr. Gabriele Miketta. „Alles wurde zwar politisch gesiegelt, aber doch nicht ganz genau angeschaut. Hier sind also natürlich die Überzeugten aufgetreten, aber auch die Pragmatischen, die sonst kaum Möglichkeiten hatten, mit ihren nicht-ganz-konformen Produktionen die Jugendlichen zu erreichen. Die Opportunisten waren auch dabei, sowie die Idealisten, die das System von drinnen ändern wollten.“

1990 war auf einmal alles passé

Mit der Wende sollte das HdjT abgewickelt werden. Eine bewegte Zeit. Die ehemalige Leitung richtete ein Nutzungskonzept ein, das Podewils’sche Palais blieb in den Händen des Landes Berlin und wurde sogar weiter als Sitz einer kulturellen Einrichtung verwendet: Von der landeseigenen Berliner Kulturveranstaltungs GmbH (BKV) wurde das Podewil von 1992 bis 2004 betrieben und wurde zum anerkannten „internationalen Zentrum für aktuelle Künste“ im Bereich Tanz, Neue Musik, Theater und Medienkunst. Es gab keine Zirkel mehr, nur Veranstaltungen mit Schwerpunkt Kulturaustausch.

Die finanziellen Mittel wurden dann aber von der Senatsverwaltung gekürzt, das Haus sollte sich genauer profilieren. Als Labor für mediale Künste wurde der Ort von 2005 bis 2007 vom TESLA-berlin e.V. genutzt. Gleichzeitig ist auch der Museumspädagogische Dienst Berlin (MD Berlin) ins Palais gezogen, welcher ein Jahr später mit der BKV zur landeseigenen gemeinnützigen Gesellschaft Kulturprojekte Berlin fusionierte. „Es ging nicht mehr um die Jugendlichen hier, nicht mehr um die kulturelle Bildung“, erklärt Dr. Gabriele Miketta. Seit 1993 arbeitet sie hier und ist zurzeit Pressesprecherin von Kulturprojekte Berlin. „Viele kulturelle Angebote wie die lange Nacht der Museen oder die Transmediale werden hier organisiert, deswegen gibt es viele Büros.“ Seit Februar 2009 hat das GRIPS-Theater seine zweite Spielstätte im Großen Saal des Palais, da sein bisheriger Standort in der Werkstatt des Schillertheaters mit dem Umzug der Staatsoper während ihrer Renovierung besetzt wurde. „Wir haben also noch einen Veranstaltungsort, aber sonst sind hier eher Angebote für Künstler.“

Ein ausbaufähiges Synergiepotenzial

Viele Organisationen arbeiten nebeneinander im kulturellen Bereich. Tanz und Theater sind dabei ziemlich gut vertreten. „Die derzeitige Konstellation von Institutionen darin hat den Ausschlag gegeben, unser Projektbüro in das Podewil zu verlegen“, sagt Katrin Behrens. „Nicht so sehr die Geschichte des Hauses“. Laut der Projektleiterin von TUSCH, welches Berliner Schulen und Bühnen für kulturelle Bildung im Bereich Theater vernetzt, bietet das heutige Podewil mit Büroräumen, Proberäumen sowie einer gut ausgestatteten Theaterbühne „den geeigneten Rahmen, um Künstler und Schüler zu verschiedenen Terminen zusammen zu bringen und die entstehenden Theaterprojekte auch öffentlich zu präsentieren. Wir finden die Kommunikation und den Austausch unter ähnlich Gesinnten fruchtbar“, sagt auch Katrin Behrens und freut sich über die Nachbarschaft im Palais.

Ein Riesen Synergiepotenzial sei da, es sollte nur aufgebaut werden. „Wir wollen das Haus nutzen und suchen nach einer anderen Form der Öffentlichkeit“, sagt Dr. Gabriele Miketta von Kulturprojekte Berlin. „Bei uns gibt es gerade eine neue Abteilung für kulturelle Bildung, aber es bleibt noch Zukunftsmusik.“ Und die Interdisziplinarität könnte echt mehr werden.

Rundgang vom Dachboden bis ins Souterrain

Außer den Erinnerungen bleibt also nicht viel übrig vom Haus der jungen Talente. Wie die Angebote hat das Personal gewechselt und das Palais selbst wurde in den letzten zwanzig Jahren in mehreren Bauabschnitten renoviert. „Mit der Wende kamen die westlichen Vorschriften für Veranstaltungsorte, erklärt Dr. Gabriele Miketta und schmunzelt: „Im Palais sollte alles modernisiert werden.“

Nach dem Gespräch machen wir uns auf die Suche nach Spuren der Vergangenheit. Zurzeit ist das Foyer mit Renovierung dran. Hier und da können wir dabei die Doppeldecke von früher sehen. „Schauen Sie dieses Baumaterial an, es war typisch in der DDR, wir nannten es Sauerkraut“, erzählt mir Dr. Gabriele Miketta lächelnd. Sie führt mich in die Probebühne sowie das Tanzstudio, welches schon für den Tanz im August umgebaut ist. Auf dem Flur treffen wir immer wieder Kollegen. Der Eine weist auf die alte Türklinke seines Büros hin, die Andere auf einen eingebauten Wandschrank aus Holz. Daneben gibt es noch eine Doppeltür mit Molton, ganz wie früher. Aber außer alten Türen und ein paar rudimentären Neonlampen kaum noch Reste. Selbst die Bühne wurde von dem großen Saal für das GRIPS Theater weggeschafft.

Jetzt geht es in den Keller, wo der berühmte Oktoberklub stattfand. „Treppen runter und dann rechts, so war es damals“, erinnert sich Dr. Gabriele Miketta. Der lange Flur mit dem Verkleidungsholz für die „Annoncen“ steht noch teilweise da, aber sonst… wir stoßen auf den Heizungskeller. „Es kann nur da gewesen sein, aber ich erkenne es nicht.“ Schwierig zu denken, dass mehr als fünfzig Personen da drinnen rocken konnten, selbst ohne die aktuellen Rohre und Heizungsmessgeräte. Als Ausgang benutzen wir einen Weg, der damals gesperrt war: Die Gewölbekeller, die aus einem spätmittelalterlichen Vorgängerbau stammen. Bemerkenswert!

(Mehr Bilder sind - mit einem Clic auf den Titel - im Diaporama zu sehen)

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