Umsonstladen dicht gemacht

Gerichtsvollzieher versiegelt Räume des Hausprojekts in der Kastanienallee 86

Auf dem Hoffest vor wenigen Wochen sang ein Transsexueller noch ein emphatisches »Halleluja«. Das Lied galt dem Tuntenhaus – so wird die Kastanienallee 86 gemeinhin genannt –, das sein 20-jähriges Bestehen feierte. Dabei bahnte sich längst ein schmutziger Kampf ums Haus an: Denn der Eigentümer Michael Brauner hat andere Pläne, als in den Gesang des Tuntenhauses einzustimmen. Die Verhandlungen um die Nutzung des Souterrains im Vorderhaus, in den vor einem halben Jahr ein Umsonstladen einzog, standen vor dem Aus. Längst hatte der Eigentümer einen Räumungstitel erwirkt. Es half nichts, dass Moritz Heusinger, der Anwalt der Hausgemeinschaft, bis zuletzt versuchte, dagegen vor dem Landgericht vorzugehen.

Gestern kam der Gerichtsvollzieher und hatte ein martialisches Polizeiaufgebot hinter sich: Über dem Haus kreiste ein Hubschrauber, und mehr als ein Dutzend Einsatzfahrzeuge standen Stoßstange an Stoßstange in der Kastanienallee. Vor dem Umsonstladen, in dem ausgediente Gebrauchsgegenstände gratis weitergereicht werden, versammelten sich indes über hundert Freunde des Hauses, um gegen eine Räumung zu protestieren. Vergebens: Um 8.50 Uhr gaben sie »angesichts der militärischen Übermacht« auf, wie eine Sprecherin des Hauses durch ein Megaphon verkündete. Der Laden wurde von Handwerkern zwar nicht geräumt, aber doch versiegelt.

Gebracht hat dies dem Eigentümer Michael Brauner vorerst wenig. Vor sechs Jahren hat der Arzt aus Wittenau mit einer Investorengruppe das Haus gekauft. Seitdem verhandelt er mit den Bewohnern wegen einer Sanierung. »Alle halbe Jahre werden mir neue Leute in dem Laden präsentiert«, sagte der sichtlich genervte Brauner. Die Strategie, die dahinter steckt, sei doch klar. »Sie wollen, dass nichts passiert. Langsam fühle ich mich verarscht.«

Stefan Liebich, Bundestagsabgeordneter der LINKEN, und Volker Ratzmann, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Abgeordnetenhaus, versuchten gestern vor Ort zu intervenieren. Auch die Bewohner machten nochmals ein Angebot: Sie wollen monatlich 800 Euro Miete aufbringen, damit der Umsonstladen weiter bestehen kann. Doch Brauner ließ sich darauf nicht ein. Ratzmann fragte ihn, was er mit den Räumen denn nun machen wolle. Er zweifelt ebenso wie Liebich daran, dass er den Laden in einer vergifteten Nachbarschaft lukrativ vermieten könne. Vorerst wolle er den Elektro-Hausanschluss neu verlegen lassen, entgegnete Brauner. »Das ist hier gemeingefährlich. Da braucht nur eine Sicherung durchzuknallen, und die Bude fackelt ab.«

Anschließend will der Eigentümer sich allerdings mit der Hausgemeinschaft wieder an einen Tisch setzen. Denn ob es ihm passt oder nicht: Die Mieter haben bestehende Verträge, und so leicht wird er sie nicht los. Aber er bleibt skeptisch. Wenigstens das Dachgeschoss möchte er ausbauen und den Laden vermieten, um damit die notwendigen Sanierungsarbeiten zu finanzieren. Er nennt das »quersubventionieren« – sonst falle das Haus bald zusammen. Doch in dieser Herangehensweise wittern die Bewohner einen Anfang vom Ende ihres Hausprojektes, weil nach dem Baulärm immer auch eine drastische Mieterhöhung käme. Beispiele dafür haben sie in Prenzlauer Berg zur Genüge gesehen. Noch sind beide Parteien weit davon entfernt, sich zu einigen.

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