Nachwendejahre werfen Fragen auf

Designierte Vorsitzende der Enquetekommission rechnet mit Konfrontation

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Stühlerücken in der umstrittenen Enquetekommission zur Aufarbeitung der Nachwendejahre geht weiter. Gestern wurde die designierte neue Kommissionsvorsitzende Susanne Melior (SPD) vorgestellt.

Der Übergang vom DDR-Staat in demokratische Verhältnisse wirft nach ihren Worten eine Reihe von Fragen auf. Bei ihrer Präsentation am Mittwoch im Potsdamer Landtag äußerte Melior zum Beispiel: »Was hätten wir besser hinbekommen müssen?«

Melior folgt als Ausschussvorsitzende der Abgeordneten Klara Geywitz, die zunächst den Vorsitz der Enquetekommission übernommen hatte. Die Neubesetzung war nötig geworden, nachdem Geywitz wegen ihrer Schwangerschaft den Posten geräumt hatte. Die Enquetekommission war auf Antrag der oppositionellen Parteien CDU, FDP und Grüne gebildet worden, nachdem sich die Regierungsparteien SPD und LINKE mit einem Zusatzantrag ebenfalls zur Mitarbeit bereit erklärt hatten.

Im Einzelnen will Melior den Fragen nachgehen: »Haben wir alle mitgenommen?«, »Wie ist die Wirtschaft aufgestellt?«, »Wie ist das Thema Diktatur bearbeitet worden?« Es käme darauf an, nicht gleich die inhaltlichen Fragen in Schuldzuweisungen münden zu lassen. Mit Konfrontation rechne sie jedoch, stellte Melior klar: »Das will und werde ich nicht vermeiden.«

In der DDR sei sie in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen, habe der Pionierorganisation und der FDJ angehört und sowohl die Jugendweihe als auch die Konfirmation erhalten, sagte die 53-jährige Politikerin, die in Greifswald Mikrobiologie studierte.

Besonders freue sie sich, dass die FDP-Abgeordnete Linda Teuteberg inzwischen ebenfalls Mitglied der Kommission geworden ist, sagte Melior. Andere Kommissionsmitglieder seien »zu sehr im damaligen System gewesen, um einen objektiven Blick zu haben«. Auf Nachfrage, wem denn da der »objektive Blick« in der Kommission fehle, sagte Melior: »Es gibt Menschen, die waren damals Teil des Systems.« Die Abgeordnete Kerstin Kaiser wolle sie nicht dazuzählen. »Sie war noch sehr jung.«

Die 28-jährige liberale Abgeordnete Teuteberg hat vor einigen Tagen den zurückgetretenen FDP-Fraktionsvorsitzenden Hans-Peter Goetz in der Enquetekommission ersetzt. Sie erklärte bei dieser Gelegenheit, ob ihrer Jugend den »nötigen Abstand« zum Thema zu haben.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Dietmar Woidke erklärte, es werde bei der Bewertung der ersten Nachwendejahre darauf ankommen, die Ereignisse in den Kontext ihrer Zeit zu stellen und gerecht zu urteilen. Damals sei unter großem Druck entschieden worden: »Es gab viele Menschen, die Angst um ihre Zukunft hatten, es war eine Zeit allergrößter Unsicherheit«.

Zu Gerüchten, denen zufolge Landtagspräsident Gunter Fritsch (SPD) den Kommissionsvorsitz übernehmen sollte, sagte Woidke, Fritsch wäre eine gute Wahl gewesen und diese Besetzung habe die Fraktion auch erwogen. Zur zusätzlichen Arbeitsbelastung für den Präsidenten wäre jedoch die Frage gekommen, ob sich der Enquetevorsitz »mit der Würde des Präsidentenamtes vereinbaren lässt«.

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