PLATTENBAU

  • Michael Saager
  • Lesedauer: 3 Min.

Laurie Anderson ist eine bemerkenswerte Frau. Vielleicht ist die Grande Dame des Avantgarde-Pop sogar mehr als das. Weshalb »O Superman« aus dem Jahr 1981 ihr einziger echter Hit blieb, ist schwer zu sagen. Der melancholische Ambient-Track mit Andersons roboterartig verfremdeter Stimme ist etwas Besonderes. Zeitlos, bis heute. Die New Yorker Violinistin und Performerin hat eine Reihe ebenbürtiger Experimental-Popsongs in ihrem 63-jährigen Leben eingespielt. In Deutschland kennt man sie kaum.

In Andersons Live-Shows stehen schwierige musikalische Collagen und songorientierter Pop, erzählte Geschichten und Lyrisches, Videoinstallationen und die Inszenierung ihrer eigenen Person als Kunstobjekt nicht selten gleichberechtigt nebeneinander. Ein ums andere Mal erwies sie sich dabei als überaus humorvolle Performerin. Auf die Idee, in einem Theater Musik für Hunde aufzuführen, muss man erst mal kommen. Nur Hundegesichter im Publikum – tolle Vorstellung. Auch ein bisschen albern und verrückt.

Anderson, die 2008 den Musiker Lou Reed heiratete, liebt das Verrückte. Und meint trotzdem vieles ernst, so auch auf ihrer neuen, überragenden Platte »Homeland«. Unterstützt haben sie unter anderem der Jazzer John Zorn; wie ein Wahnsinniger bläst er in sein Saxophon – es klingt wie ein Todesschrei. Lou Reed zieht ein paarmal die Gitarrensaiten mächtig lang, Antony Hegartys Stimme verweht seufzend gegen Ende eines Songs, und der Elektroniker Kieran Hebden sorgt andernorts für einen ungewohnt satten Technoflow.

Im Mittelpunkt aber agiert stets Anderson, steht ihre tranceartige, bisweilen effektvoll bearbeitete Stimme. Anderson singt und erzählt abwechselnd. Und immer muss man ihr zuhören, dieser charismatisch sonoren, unaufgeregt hypnotischen Stimme, mit der sie meist zu zeitlos melancholischen, elektronischen Ambient-Pop-Tracks pointenreiche Geschichten zu erzählen weiß wie niemand sonst auf dem Planeten Pop.

Allgemeine Verteilungskämpfe, der Irak-Krieg, die Finanzkrise, Ökologie. Anderson ist ein politischer Mensch, nur lässt sie es nicht so raushängen. »Only An Expert« handelt von der Liebe der Amerikaner zum Expertentum, erzählt vom zweischneidigen Glück, für jedes Problem jemanden zu haben, der einem die Verantwortung aus der Hand nimmt. Grandios in seiner lakonischen Kraft – eigentlich ein leicht unheimliches poetisches Hörbuch für sich – ist »Another Day In America«, das elfminütige Herzstück der Platte: Der fiktive Reporter Fenway Bergamot hält mit Andersons Maschinenmännerstimme einen assoziativen Vortrag über die Zeit. Er erzählt auch von einem alten Paar, von einem Mann und einer Frau, die sich ein Leben lang gehasst haben. Endlich in ihren Neunzigern lassen sie sich scheiden. Jemand fragt, warum erst jetzt: »Well, we wanted to wait until the children died.« (Wir wollten warten, bis die Kinder tot sind.) Was für eine Antwort!

Wie gesagt, Laurie Anderson ist eine bemerkenswerte Frau. Nein, sie ist mehr als das.

Laurie Anderson: Homeland (Nonesuch / Warner)

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