Trinken, Hassen oder Ignorieren

Das Münchner Oktoberfest ist zu einem multikulturellen und globalen Event geworden

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Münchner Oktoberfest hat begonnen. Dieser lapidare Satz sollte nicht über die wirkliche Größe dieses Ereignisses hinwegtäuschen.

Sechs Millionen Besucher – das entspricht der Einwohnerzahl des Bundeslandes Hessen – werden in den kommenden zwei Wochen auf dem Münchner Oktoberfest rund eine drei viertel Milliarde Euro ausgeben. Was aus Berliner oder auch Hamburger Perspektive noch immer mit gewisser Distanz aufgenommen wird, strahlt im südeuropäischen Raum weit über Münchens Grenzen hinaus. Penibel wird registriert, mit wie viel Schlägen der sozialdemokratische Oberbürgermeister Christian Ude (es waren zwei) das Fass anzapfte. Oder mit welchem Dirndl die Frau des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) sich an der Seite ihres Gatten zeigt. Der bayerische Rundfunk sendet quasi ein Sonderprogramm fast rund um die Uhr, die »Süddeutsche Zeitung« produziert ihren Lokalteil direkt im Bierzelt.

Vom Oktoberfest – zudem in seiner Jubiläums-Variante im 200. Jahr des weißblauen Nationalrausches – geht eine gewisse Totalität aus, der man sich nur schwer entziehen kann. Man kann Stimmen hören, denen zufolge derlei Treiben dem eingeborenen Münchner an sich wesensfremd sei.

So wundert es nicht, dass auch dissidente Meinungen zum Oktoberfest aufscheinen. »Kaum etwas ist mir so abgrundtief zuwider wie das Münchner Oktoberfest«, konstatiert etwa der kritische Psychologe Colin Goldner in der »jungen Welt«. »Ja, ich hasse München, wenn Wiesn ist.« Wo er doch als Bub so gerne hingegangen ist. Eine andere Variante der Lederhosen-Verweigerung ist die schlichte Ignoranz. Für sie steht beispielhaft Herr K., Volkshochschuldirektor in einer der Münchner Umlandgemeinden. Herr K. stammt aus dem oberbayerischen Rosenheim und hat somit keine muttermilchmäßige Beziehung zum Oktoberfest aufbauen können. Herr K. geht einfach nicht auf die Wiesn, sondern wartet, bis das Rosenheimer Volksfest kommt, wo die Maß Bier und das Hendl auch wesentlich günstiger sind.

Doch die Wahrheit ist, dass das Münchner Oktoberfest mittlerweile zu einem multikulturellen und globalen Event geworden ist. Das Ereignis verbindet neue sozialkulturelle Dynamiken wie den Dirndlfetisch und das Auf-den-Tischen-Tanzen mit hergebrachten sozialkulturellen Dynamiken wie der Herbeiführung eines Rausches und dem traditionellen Geldscheffeln. Und weil das Oktoberfest jetzt so dynamisch ist, weiß der Münchner auch gar nicht, in welche Richtung es weitergeht. Immerhin überholen in Bayern die Grünen jetzt bei Umfragen die SPD, da könnte es immerhin sein, dass – quasi als Erinnerung an die frühen grünen Jahre – irgendwann auf der Wiesn auch ein Cannabis-Zelt steht. Rausch ist schließlich Rausch. Das Rauchverbot müsste dann freilich fallen – was der CSU endgültig der Garaus machen und so die Republik erschüttern würde.

Freilich, die Mainstream-Besucher in Lederhosen und Dirndl wissen von all dem nichts. Sie stoßen im Bierzelt die schweren Maßkrüge aneinander. Und alles wird leicht, alles wird gut.

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