Netanjahu verteidigt Krieg und verurteilt Kritiker

Israels Premier beschreibt sein Land vor der Uno in einem Kampf gegen islamistischen Terror

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Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zeigt eine seiner berüchtigten Propagandakarten, während er bei der Generaldebatte der Generalversammlung der Vereinten Nationen im UN-Hauptquartier in New York spricht.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zeigt eine seiner berüchtigten Propagandakarten, während er bei der Generaldebatte der Generalversammlung der Vereinten Nationen im UN-Hauptquartier in New York spricht.

New York. In einer von Protest begleiteten Rede hat der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seine international heftig umstrittene Kriegsführung im Gazastreifen verteidigt und Kritiker scharf angegriffen. Vorwürfe des Völkermords und eines Hungerkrieges gegen die Palästinenser wies er zurück: »Würde ein Land, das Völkermord begeht, die angeblich angegriffene Zivilbevölkerung bitten, sich aus der Gefahrenzone zu entfernen?«, fragte Netanjahu rhetorisch bei der UN-Generaldebatte in New York. Dagegen bekomme die islamistische Hamas, die für den Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 auf Israel verantwortlich ist, einen Freibrief. »Was für ein Witz«, schimpfte er.

Anerkennung von Palästina »wird eine Schande für Sie alle sein«

Mit scharfen Worten wandte er sich gegen eine Reihe von westlichen Staaten, die als Reaktion auf das israelische Vorgehen im Gazastreifen in den vergangenen Tagen den Staat Palästina anerkannt hatten. Unter anderem Frankreich, Großbritannien, Kanada und Australien hätten damit eine klare Botschaft gesendet, so Netanjahu: »Juden zu ermorden zahlt sich aus.«

Netanjahu verurteilte die Staaten: »Sie haben etwas falsch gemacht, schrecklich falsch. Ihre schändliche Entscheidung wird den Terrorismus gegen Juden und gegen unschuldige Menschen überall auf der Welt fördern. Sie wird eine Schande für Sie alle sein«, prognostizierte er.

Israel habe derweil genügend Nahrungsmittel und Nothilfe in den Küstenstreifen mit zwei Millionen Bewohnern zugelassen: »Wenn es in Gaza nicht genug zu essen gibt, dann liegt das daran, dass die Hamas es stiehlt«. Internationale Organisationen und die Vereinten Nationen haben dagegen für Teile des Gazastreifens eine Hungersnot erklärt und immer wieder direkt Israels Abriegelung des Gebiets für den Mangel an Nahrung verantwortlich gemacht.

Protest und Zwischenrufe – und Applaus

Zu Beginn der Rede hatten Dutzende Diplomaten aus Protest den Sitzungssaal am East River verlassen. Netanjahu, der mit stoischem Blick am Podium abwartete, sprach vor teilweise leeren Rängen. Während der Rede gab es vereinzelt Zwischenrufe, aber auch demonstrativen Applaus, offensichtlich von Unterstützern des Ministerpräsidenten unter anderem auf der Besuchertribüne.

Netanjahus Kriegsführung mit Zehntausenden getöteten Zivilisten in Gaza wird international mit wenigen Ausnahmen scharf kritisiert. Zuvor hatte die islamistische Hamas am 7. Oktober 2023 durch einen verheerenden Terroranschlag mit mehr als 1000 Toten den Krieg ausgelöst.

Der Rückhalt für die Regierung Netanjahu ist nach anfänglich großer Unterstützung bei vielen Partnern offenem Unverständnis gewichen. Dies beklagte Netanjahu: »Sicher, in den Tagen unmittelbar nach dem 7. Oktober unterstützten viele von ihnen Israel, doch diese Unterstützung verflog schnell, als Israel das tat, was jede Nation mit Selbstachtung nach einem solch brutalen Angriff tun würde: Wir wehrten uns.«

Netanjahu verteidigt Angriffe auf Irans Atomprogramm

Auch die von den USA unterstützten Angriffe auf das iranische Atomprogramm verteidigte Netanjahu und warnte eindringlich vor einer atomaren Bewaffnung des Irans. Die »iranische Terrorachse« habe den Frieden in der Welt, die Stabilität der Region und die Existenz Israels bedroht, sagte er vor der UN-Vollversammlung. Netanjahu dankte US-Präsident Donald Trump ausdrücklich für dessen Unterstützung bei den Angriffen im Juni. Iran dürfe niemals eine Atomwaffe bekommen. Israel hatte in einem Großangriff Atomanlagen der Islamischen Republik zerstört sowie führende Militärs und Atomwissenschaftler getötet.

Der Iran habe »rasch ein massives Atomwaffenprogramm und ein massives Programm für ballistische Raketen« entwickelt, sagte Netanjahu. »Diese sollten nicht nur Israel zerstören, sondern auch die Vereinigten Staaten bedrohen und Nationen überall auf der Welt erpressen.«

Israel sieht sich nach den Worten seines Regierungschefs in einem Kampf gegen islamistischen Terror, den das Land nicht nur für sich bestreite. »Israel kämpft Ihren Kampf«, behauptete Netanjahu. Dabei bezog er sich auch auf Bundeskanzler Friedrich Merz. Dieser habe die Wahrheit gesagt, als er nach dem israelischen Angriff auf den Iran gesagt habe, dass Israel »die Drecksarbeit für uns alle« erledige. Weiteres Lob hatte er auch für Trump übrig. Dieseer verstehe besser als jeder andere Staatschef, »dass Israel und Amerika einer gemeinsamen Bedrohung gegenüberstehen«.

Hat Trumps neuer Friedensplan eine Chance?

Die Rede Netanjahus war auch vor dem Hintergrund einer neuen Dynamik für einen Frieden in Nahost mit Spannung erwartet worden. Dabei reagierte er nicht direkt auf einen neuen Friedensplan des US-Präsidenten, dem von Diplomaten Chancen für echte Fortschritte und ein Ende des Gaza-Krieges gegeben werden.

Trump hatte den 21-Punkte-Plan in New York arabischen Staats- und Regierungschefs vorgelegt. Laut US-Medien umfasst der Vorstoß Forderungen nach einer dauerhaften Waffenruhe, der Freilassung der Geiseln und einem schrittweisen Rückzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen sowie einen Vorschlag für eine Regierung des Küstengebiets ohne Beteiligung der islamistischen Hamas.

Netanjahu will erst nach Trump-Treffen über Annexion entscheiden

Die arabischen Staaten verlangen unter anderem den Verzicht Israels auf die befürchtete Annexion von Teilen des Westjordanlands oder des Gazastreifens – Trump schien dem mit einer Aussage am Donnerstag zu folgen: »Ich werde es Israel nicht erlauben, das Westjordanland zu annektieren«, sagte er.

Der israelische Regierungschef hatte Medienberichten zufolge angekündigt, erst nach seinem für Montag geplanten Treffen mit Trump in Washington eine abschließende Entscheidung zu einer Einverleibung palästinensischer Gebiete treffen zu wollen. Diese wird von ultrarechten Koalitionspartnern des Ministerpräsidenten gefordert. In seiner Rede bei der Generaldebatte sprach Netanjahu nicht von einer offiziellen Einverleibung der Palästinensergebiete.

Worte direkt an die Geiseln in Gaza

Israels Ministerpräsident richtete stattdessen Worte direkt an die im Gazastreifen festgehaltenen israelischen Geiseln. Er habe deshalb um den Gazastreifen große Lautsprecher anbringen lassen, die mit seinem Mikrofon verbunden seien in der Hoffnung, dass die Entführten ihn hörten, schilderte er in New York. Und sagte dann: »Wir haben Sie nicht vergessen, nicht eine Sekunde. Das israelische Volk steht hinter Ihnen. Wir werden nicht zögern und nicht ruhen, bis wir Sie alle nach Hause gebracht haben.«

Wie auch schon bei vergangenen Reden vor der Vollversammlung brachte Netanjahu mehrere Accessoires mit zu seiner Rede. Mithilfe von Postern verdeutlichte er erst den Verlauf von Kämpfen gegen proiranische Gruppierungen in der Region, dann nutzte er weitere für eine Art Mini-Quiz, bei dem er Fragen mit mehreren Antwortmöglichkeiten zeigte. Mit einem Stift machte er dann jeweils einen Haken hinter der Auswahlmöglichkeit »alle oben genannten«, etwa: Sowohl der Iran als unter anderem auch die Hamas, die Hisbollah, die Huthi und Al-Qaida hassten sowohl Israel als auch die USA und Europa. »Unsere Feinde hassen uns alle mit gleichem Gift.« dpa/nd

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