Theater unterm Dach

Zoogeschichte

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

»Bionade-Biedermeier« nennt eine Wochenzeitung das von hedonistischen Akademikerfamilien geprägte Milieu in Prenzlauer Berg. Eigentlich merkwürdig, dass sich noch kein Dramatiker dieses überaus dankbaren Stoffes angenommen hat, surreale Komik fände man sicherlich genug. Das ortsansässige Theater unterm Dach geht immerhin einen Schritt in diese Richtung, indem es Teile aus im Bezirk geführten Interviews kombiniert mit Edward Albees »Zoogeschichte« – und diese vom New Yorker Central Park in den Volkspark Friedrichshain verlegt.

Dort nämlich steht die Parkbank, auf der Familienvater Kolja Cornelius Blocher (Andreas Nickl) jeden Sonntag seine Zeitung liest, bevor es wieder heimgeht in den schön sanierten Altbau. Doch diesmal wird der selbstzufriedene Mittdreißiger gestört durch Jürgen (Helge Bechert), der vor mehr als 20 Jahren selbst im damals noch unbürgerlich wilden Prenzlauer Berg wohnte, mittlerweile aber von den wohlhabenden Zugezogenen verdrängt wurde: ein Opfer der Gentrifizierung ebenso wie des Kapitalismus, einsam, verbittert und manipulativ. Wohl wissend um die Schwächen des höflichen Mittelstandbürgers Kolja verwickelt er diesen in ein Gespräch über Abgründe und Ungerechtigkeiten des Lebens, dem sich Kolja trotz steigender Gereiztheit und Abscheu nicht entziehen kann. Immer absurder wird der Dialog, bis Jürgen plötzlich gewalttätig zu werden scheint und ihm den Platz auf der Bank streitig machen will.

Meisterhaft schildert Edward Albee in seinem vor mehr als 50 Jahren entstandenen Erstlingswerk die Abgründe und Untiefen der »zivilen« Gesellschaft und zeigt schonungslos, wie schnell ein Selbstbild ins Wanken gerät. Im Theater unterm Dach erhält das zeitlose Stück nun zusätzliche Aktualität durch die Kopplung mit Zitaten aus Interviews, welche die Journalistin und zweifache Mutter Nataly Bleuel, bekannt geworden durch Bücher wie »Muttertage. Ich und mein Familienunternehmen«, mit »typischen« Prenzlauer Berg-Bewohnern führte. So treten die beiden wunderbar karg und differenziert spielenden Darsteller zu Anfang in unterschiedlichen Paar-Konstellationen auf. »Wovor wir geflüchtet sind, aus der Spießigkeit irgendeiner westdeutschen Provinzstadt, das haben wir jetzt hier«, ist eines der vielen treffenden und selbstironischen Zitate, vor allem aber haben Nickl und Bechert all die Paare zwischen Kastanienallee und Kollwitzplatz wohl sehr genau studiert und treffen bravourös Mimik und Körpersprache all dieser spät gebärenden Mütter und ihrer überbesorgten Männer.

Spitz und witzig ist dieser sehr kurze erste Teil, toll gespielt auch Albees »Zoogeschichte« – und doch, irgendwie passt beides nicht so recht zusammen, Realsatire und absurdes Theater. Die gute schauspielerische Leistung jedoch und das naiv-idealisierte Dschungelbild im Stil Henri Rousseaus, vor dem Regisseur Cornelius Schwalm seine Protagonisten agieren lässt, machen einfach Spaß – und so kann man den Abend trotz des kleinen dramaturgischen Bruchs empfehlen. Wer danach noch mehr darüber wissen will, wie die Bewohner des Bötzowviertels ihren Kiez sehen, kann sich die von Grundschülern gestaltete Ausstellung im Nebenraum ansehen.

Am 7./8. Oktober, 20 Uhr; Theater unterm Dach, Danziger Str. 101, Prenzlauer Berg, Tel. 902 95 38 17

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