Das Bärenbaby im Ehebett von Heinrich Dathe

Buch für Freunde des Tierparks in Friedrichfelde und solche, die es werden möchten

Einen Rundgang im weitläufigen Berliner Tierpark unternehmen und gleichzeitig bequem im Sessel sitzen – das ist möglich. Man muss nur Jürgen Mladeks »Unser Tierpark Buch« zur Hand nehmen und die Seiten 121 bis 176 lesen. Das Kapitel heißt: »Ein Rundgang«. Einen echten Besuch in dem berühmten Landschaftszoo ersetzt dies zwar nicht, es macht aber enorm Lust darauf.

Dieses Werk ist mit Hingabe geschrieben: ein Buch für Freunde des Tierparks und solche, die es werden möchten. Ein schöner Band mit schönen Fotos. Die ersten beiden Kapitel sind der Entstehung der Anlage und dem legendären Gründungsdirektor Heinrich Dathe gewidmet. Jedes Kind in der DDR kannte den Professor aus dem Fernsehen und aus dem Rundfunk. Er und sein Tierpark waren unglaublich populär. Rauf auf den Fernsehturm und rein in den Tierpark Friedrichsfelde, das gehörte einst zu einer gelungenen Reise in die Hauptstadt der DDR dazu. Dabei sträubte sich Dathe zunächst, den Chefposten in Berlin zu übernehmen. Er arbeitete als stellvertretender Zoodirektor in Leipzig. Dorthin war seine Familie gezogen, als er 14 Jahre alt war. Es gefiel Dathe bestens in Leipzig. Er fand die Stadt einfach schön. Das Berliner Häusermeer lockte ihn keineswegs. Als er 1954 zu einer Besprechung nach Berlin bestellt wurde, zweifelte er die Machbarkeit des Tierparkbaus an: Mit zwei Jahren Planung und fünf Jahren Bauzeit müsse man rechnen und mit Kosten in Höhe von 20 Millionen Mark. Mit solchen Angaben wollte Dathe die Berliner Stadtväter »abschrecken«, erzählt Jürgen Mladek.

Aber alle Ausflüchte, Entschuldigungen und Argumente fruchteten nicht. Er solle doch wenigstens die ins Auge gefassten Standorte besichtigen, hieß es. Zur Auswahl standen der Plänterwald, die Wuhlheide und der Schlosspark Friedrichsfelde. Zuerst betrat man den Schlosspark – und hier änderte Dathe seine Meinung. Er erkannte das Potenzial für einen weiträumigen Landschaftszoo, wo die Tiere nicht beengt gehalten werden müssen, wo Platz für große Gehege und ausgedehnte Spaziergänge vorhanden ist. Am 30. November wurde der Grundstein gelegt, unzählige Aufbauhelfer packten bei freiwilligen Arbeitseinsätzen mit zu. Am 2. Juli 1955 kam die feierliche Eröffnung. »Es wurde ein Triumph. Hinter den Ehrengästen strömten 30 000 Berliner in den Park, sie waren hingerissen«, notiert Mladek.

Heruntergespielt wirkt die Tatsache, dass der damals 21-jährige Heinrich Dathe bereits 1932 der NSDAP beitrat. Diesen Schritt gingen zwar auch andere, die ihn später bitter bereuten. Doch dass dann im Tierpark-Buch ausgerechnet Witze über den Ostberliner Oberbürgermeister Friedrich Ebert junior gerissen werden, der Journalisten eifersüchtig angewiesen habe, den Namen des Tierparkdirektors nicht so oft zu erwähnen! Schließlich saß der alte Sozialdemokrat Ebert junior gleich 1933 im KZ Oranienburg und wurde dort fürchterlich gequält.

Die NSDAP-Vergangenheit Dathes ist vor einigen Jahren dazu missbraucht worden, den Professor in Misskredit zu bringen. Dass darf jedoch nicht dazu verleiten, unkritisch mit diesem Fehltritt des jungen Mannes umzugehen. Das schmälert keineswegs seine Lebens- und Aufbauleistung. Die schlägt sich nieder in Anekdoten wie der von der Geburt eines Bärenbabys, dass von der Mutter nicht angenommen wurde. Die Dathes nahmen das Tier mit ins Ehebett, bürsteten ihm den Bauch, damit es aus der Flasche trank und endlich unter sich machte.

Im Dezember 1990 – kurz vor seinem 80. Geburtstag – wurde Heinrich Dathe zwangsweise in die Pension geschickt, die Dienstwohnung wurde ihm kurzfristig gekündigt. Am 6. Januar 1991 starb er. »An gebrochenem Herzen, sagen viele, die ihn kannten«, bemerkt Mladek.

Jürgen Mladek: »Unser Tierpark-buch«, Das Neue Berlin, 191 Seiten (geb.), 15,40 Euro, ND-Bestellservice, Tel.: (030) 29 78 17 77

  • In einem durchschnittlichen Jahr werden im Tierpark Friedrichsfelde eine halbe Millionen Kilo Heu gefressen, 50 000 Kilogramm Kartoffeln und rund 100 000 Kilo Fleisch.

    Pelikandame »Knicki« legte mit über 40 Jahren noch Eier – ein Rekord, der beweist, wie gut die Bedingungen für die Bewohner des Tierparks sind.

    Allein Studenten der Hochschule für Planungsökonomie leisteten beim Aufbau des Tierparks 8000 freiwillige Arbeitseinsätze und rodeten unter anderem das Unterholz im Schlosspark.
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