Schwäbischer Tuchel

Ob Jens Keller nur Notnagel oder Dauerlösung als Stuttgarter Trainer ist, hängt vom Erfolg ab

  • Thomas Häberlein und Philipp Grohm, SID
  • Lesedauer: 3 Min.

Von Christian Gross hat der VfB Stuttgart am Ende »kaum Lösungsansätze« mehr zu hören bekommen. So jedenfalls begründete Sportdirektor Fredi Bobic die Entlassung des Schweizer Trainers. Jens Keller hat dagegen ganz offensichtlich einen Plan, wie der Tabellenletzte der Fußball-Bundesliga wieder nach oben kommt. Das 39 Jahre alte Trainer-Greenhorn erläutert ihn mit Phrasen, die zum Standardrepertoire gehören, wenn ein Klub im Abstiegskampf steckt. »In unserer jetzigen Situation gilt es, jeden Zentimeter des Rasens umzugraben«, sagt Keller. Ein Lösungsansatz, den Gross nicht hatte?

Beim VfB Stuttgart setzten sie zunächst mal auf das Prinzip Hoffnung. »Wir werden die Entwicklung in den kommenden Wochen und Monaten abwarten«, erklärte Präsident Erwin Staudt, als es um die Perspektive für Keller ging. Notnagel – Dauerlösung? »Jens Keller«, versicherte Sportdirektor Bobic, »ist nicht unser Interimstrainer. Er genießt unser volles Vertrauen, und er ist der Chef.« Nach Aussage von Bobic ging es auch nie darum, einen Mann von außen zu holen, wie etwa Christoph Daum. Nein, beim VfB hoffen sie, dass Jens Keller eine Art Thomas Tuchel von Stuttgart wird.

Tuchel kennen sie gut in Stuttgart – er war dort mal Jugendtrainer. Auch Keller hat bei den A-Junioren des Vereins gearbeitet. Und wenn Bobic außerdem sagt, es sei klar gewesen, dass die Nachfolge von Gross »intern« gelöst wird, ist der neue Mann die Idealbesetzung. Keller ist gebürtiger Stuttgarter, wuchs fünf Kilometer vom Stadion entfernt auf, hat selbstverständlich in rot-weißer VfB-Bettwäsche geschlafen und trug das Trikot mit dem roten Brustring selbst. Der frühere Abwehrspieler war kein Künstler auf dem Platz, doch das Filigrane soll beim VfB in nächster Zeit ja eh nicht so gefragt sein.

»Ich verlange Herz, Willen, Leidenschaft und Einsatzbereitschaft«, betont Keller. Er sei überzeugt, »dass die Mannschaft so viel Potenzial hat, dass wir den Karren selbst aus dem Dreck ziehen können«. Das klingt nach harter Arbeit, ein Lösungsansatz, den auch Gross hatte. Die Verantwortlichen des VfB aber trauten ihm nicht mehr über den Weg.

Keller sprach seinem Vorgänger derweil die Fähigkeit ab, Fehler zu erkennen und abzustellen. Gross sei ein dominanter Trainer, und wenn er ihm als dessen Assistent auf etwas hingeweisen habe, sei er damit nicht durchgedrungen. »Man kann als Trainer nur so weit eingreifen, wie es der Cheftrainer zulässt«, so Keller, »mir waren in einigen Bereichen die Hände gebunden.« Nun hat er freie Hand zu tun, was er für richtig hält. Beim ersten Interview mit dem fachmagazin kicker bemühte er bekannte Phrasen: »Kompakter stehen«, »schneller umschalten« müsse die Mannschaft, der er durch die »richtige Ansprache« außerdem »frisches Selbstvertrauen« geben wolle.

Am Samstag beim Tabellenvorletzten Schalke 04 kommt auf Keller schon die erste Bewährungsprobe zu. Geht es dort und auch danach zu oft schief, müsste Bobic wieder einen neuen Trainer suchen – die Hoffnungen auf eine schwäbische Variante von Thomas Tuchel wären dahin.

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