Ausgegrenzt und hilflos

Für obdachlose Frauen fehlen Übernachtungsangebote

  • Susanne Lenze
  • Lesedauer: 2 Min.

»Einige der obdachlosen Frauen richten ihre Verzweiflung gegen sich selbst«, weiß Jenny De la Torre aus ihrer 16-jährigen Erfahrung als Ärztin.

Sie behandelte zunächst in einer kleinen Praxis am Ostbahnhof und seit 2006 im Gesundheitszentrum für Obdachlose in Mitte etwa 30 Menschen – täglich. Das Zentrum, ein Projekt ihrer Stiftung, finanziert sich allein durch Spenden.

Neben der medizinischen Versorgung, der sozialen, psychologischen und rechtlichen Betreuung, bietet das Zentrum ein Frühstücksangebot, ein warmes Mittagessen und eine Kleiderkammer. Im Jahr 2009 waren 69 Prozent der Patienten nicht krankenversichert. Etwa 20 Prozent ihrer Patienten sind Frauen, die meisten zwischen 40 und 50 Jahre alt. Was führt Frauen dazu, auf der Straße zu leben?

Die Ursachen dafür sind natürlich sehr verschieden, wie auch kürzlich bei der vierten Berliner Woche der Seelischen Gesundheit deutlich wurde. Sie reichen von Zwangspartnerschaften, Demütigungen in Beziehungen, massiven Gewalterfahrungen, sexuellem Missbrauch, Alkoholismus, Essstörungen, Abhängigkeit von Medikamenten bis hin zum Kindsverlust.

»Hinzu kommen die daraus resultierenden psychischen Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten«, so die Psychologin Elke Rasche vom Frauenladen, eine Einrichtung der Berliner Suchthilfe, die süchtige Frauen betreut. Die Betroffenen hätten Probleme, sich auf Hilfen und Beziehungen einzulassen, Angst vor Behördengängen wie vor Konflikten, und sie seien hilflos gegenüber eventuellen Peinigern, berichtet Rasche.

Oft handele es sich um verdeckte Obdachlosigkeit, die ein integriertes würdevolles Leben in der Gesellschaft, mit einem Dach über dem Kopf, nicht mehr ermöglicht.

»Die obdachlosen Frauen zeigen oft Tendenzen zur Selbstbeschuldigung und brauchen eine längere Zeit, Vertrauen aufzubauen. Männer dagegen fordern eher soziale Hilfe ein«, erläutert Sozialarbeiterin Kerstin Bretschneider vom Gesundheitszentrum für Obdachlose. Sie führt etwa sechs Gespräche pro Woche mit obdachlosen Frauen.

»In Berlin gibt es vier Frauenhäuser und zwei niedrigschwellige Notübernachtungen für Frauen«, sagt die Soziologin Conni Ruhland von FrauenbeDacht in Berlin. Dieses Angebot für Frauen ohne eigene Wohnungen, die auf der Straße oder in unzumutbaren Wohnverhältnissen leben, reicht jedoch nicht aus.

»Der Therapeutische Wohnverbund für psychisch erkrankte wohnungslose Frauen ist in keiner Weise abgedeckt«, resümiert die Psychologin Britta Köppen von der Einrichtung FrauenbeDacht.

Die typischen körperlichen Krankheitsbilder sind nach Aussagen von Jenny De la Torre bei Frauen und Männer ähnlich. Es handelt sich häufig um ansteckende und parasitäre Hauterkrankungen, Erkrankungen der oberen Extremitäten wie Abszessbildungen oder Selbstverletzungen.

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