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Der Ursprung der Affen

Fossilienfunde werfen neues Licht auf frühe Primatenevolution

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 4 Min.

Dass die Wiege der Menschheit in Afrika stand, vermutete schon Charles Darwin. In seinem Buch über die Abstammung des Menschen schrieb er 1871: »In jeder großen Region der Erde sind die dort lebenden Säugetiere nahe mit den ausgestorbenen Arten derselben Region verwandt. Es ist daher wahrscheinlich, dass Afrika früher von jetzt ausgestorbenen Affen bewohnt wurde, welche dem Gorilla und dem Schimpansen nahe verwandt waren; und da diese beiden Spezies jetzt die nächsten Verwandten des Menschen sind, so ist es noch etwas wahrscheinlicher, dass unsere frühen Urerzeuger auf dem afrikanischen Festland lebten.«

Anders als Darwin waren die meisten Paläontologen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein der Auffassung, dass die Menschwerdung in Asien stattgefunden habe. Denn erst 1924 wurde in Südafrika das erste Vormenschen-Fossil auf dem Schwarzen Kontinent gefunden: der Schädel des »Kindes von Taung«, welches der Gattung Australopithecus zugerechnet wird und vor mehr als zwei Millionen Jahren starb. Bis heute gibt es keine Fundstätte in Asien, Europa oder anderswo, an der die fossilen Menschenzeugnisse auch nur annähernd so alt wären wie die ältesten Fundstücke aus Afrika. Derzeit gelten die auf rund 1,8 Millionen Jahre datierten Schädel- und Kieferknochen aus Dmanisi in Georgien als die ältesten menschlichen Fossilien außerhalb Afrikas. Darwins prophetische Idee von 1871 hat somit eine glänzende empirische Bestätigung erfahren.

Eine Frage allerdings ist nach wie vor offen: Haben sich auch die Vorfahren unserer Vorfahren auf dem afrikanischen Kontinent entwickelt? Bis vor Kurzem waren die meisten Fachleute geneigt, darauf mit Ja zu antworten. Seit einigen Jahren jedoch häufen sich die Hinweise, dass der Ursprung der Anthropoiden, also jener Primatengruppe, die Affen, Menschenaffen und Menschen umfasst, in Asien lag. Neue Fossilien, die eine Forschergruppe um Jean-Jacques Jaeger von der Universität Poitiers (Frankreich) in der nordafrikanischen Wüste gefunden hat, stützen diese These. In den Felswänden von Dur At-Talah in Libyen stießen die Wissenschaftler auf Überreste von Affen aus dem mittleren Eozän, deren Alter man auf ca. 39 Millionen Jahre datiert. Die Tiere waren recht klein und dürften ausgewachsen kaum mehr als ein halbes Kilo gewogen haben. Zudem ergab die Untersuchung der Zähne, dass sich die fossilen Affen vorwiegend von Insekten ernährten.

Wie die Forscher im britischen Fachblatt »Nature« (Bd. 467, S. 1095) überdies mitteilen, gehören die gefundenen Fossilien zu drei verschiedenen Primatenfamilien, die im mittleren Eozän schon eine lange evolutionäre Entwicklung hinter sich hatten. Dass all dies in Afrika geschehen sein könnte, bezweifeln Jaeger und seine Kollegen unter anderem mit dem Argument, dass man in Afrika bislang nur wenige Fossilien von Anthropoiden gefunden habe. Zwar ließe sich das plötzliche Auftauchen einer so vielfältigen Verwandtschaftsgruppe von Primaten zur Not damit erklären, dass die fossilen Vorstufen dazu nur noch nicht entdeckt worden sind. Jaeger hält das jedoch für sehr unwahrscheinlich. Denn erstens seien gerade die nordafrikanischen Formationen aus dem Eozän in den letzten Jahrzehnten intensiv nach Fossilien durchsucht worden. Und zweitens habe man solche Überreste auch in erdgeschichtlich älteren, ebenfalls gut dokumentierten Gegenden Afrikas nicht gefunden.

Das Forscherteam um Jaeger vertritt daher die Auffassung, dass vor ca. 39 Millionen Jahren gleich mehrere Anthropoidenarten nach Nordafrika eingewandert seien. Deren Entstehungsort lag vermutlich in Asien, denn dort hat man Anthropoiden-Fossilien gefunden, die aus dem frühen Eozän stammen und somit rund 15 Millionen Jahre älter sind als die ältesten afrikanischen Funde. Zur Zeit der Einwanderung der aus Asien stammenden Anthropoiden gab es in Afrika keine Fauna, die mit den Neuankömmlingen hätte konkurrieren und deren rasche Ausbreitung verhindern können, sagt der ebenfalls an der Studie beteiligte Paläontologe Christopher Beard vom Carnegie Museum of Natural History in Pittsburgh: »Wenn unsere Vorstellung stimmt, dann war die Kolonisierung Afrikas durch Anthropoiden ein wirklich entscheidendes Ereignis, geradezu ein Schlüsselmoment unserer Evolutionsgeschichte. Denn wäre es unseren frühen anthropoiden Vorfahren nicht gelungen, von Asien nach Afrika einzuwandern, würden wir heute gar nicht existieren.«

Anders als bisweilen behauptet wird, rütteln die neuen Erkenntnisse aber nicht an der These, dass die Wiege der Menschheit in Afrika stand. Erst hier haben sich aus unscheinbaren Affen in einem langen Evolutionsprozess die Vormenschen und aus diesen schließlich die ersten Vertreter der Gattung Homo entwickelt. Wie das im Einzelnen geschah, weiß natürlich niemand. »Eine direkte Ahnenlinie gibt es nicht, wir finden immer nur Hinweise auf stark verzweigte Stammbäume«, resümieren die Forscher. Und selbst wenn die neuen Funde aus Libyen von den ältesten Vorfahren der Affen abstammen sollten, könne man praktisch ausschließen, dass darunter ein direkter Vorfahr von uns sei.

Überhaupt wähnen sich Jaeger und seine Kollegen erst am Anfang ihrer Arbeit, deren Ziel es ist, die Frühgeschichte der Anthropoiden genauer zu rekonstruieren. Denn dieser Teil der Primatenevolution ist fossil schlecht dokumentiert und seine Deutung basiert daher noch weitgehend auf Spekulationen.

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