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Die starke Seite vom Bayerischen Meer

Von der Seligen Irmengard bis zur weltoffenen Gästeführerin – Frauenpower am Chiemsee

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 7 Min.
Emina Cehajic
Emina Cehajic

Halb verfallen und verwahrlost war das Benediktinerinnen-Kloster auf der Fraueninsel im Chiemsee, als Irmengard von Buchau 857 hier Äbtissin wurde. Das aber schreckte die 26-Jährige nicht, unverdrossen ging sie daran, dem Kloster neues Leben einzuhauchen, mit allem was sie besaß: mit Frömmigkeit, Nächstenliebe und vor allem mit Fürsorge für die Armen. Leider blieb der mutigen jungen Frau nicht viel Zeit, schon sechs Jahre später starb Irmengard. Dennoch schaffte sie es, sich durch ihre Art zu leben unsterblich zu machen. 1928 sprach der Papst sie gar selig. Bis heute versprechen sich viele Gläubige von der Seligen Irmengard Hilfe in der Not. In Scharen fahren sie mit ihren Wünschen übern Chiemsee ins Kloster Frauenwörth, wo Irmengard beigesetzt und ihr eine Kapelle geweiht wurde. Vor allem kinderlose Frauen sind es, die in ihrem Wunsch nach einem Baby vor ihrem Abbild hoffnungsvoll niederknien. Nimmt man die unzähligen Fotos von neugeborenen Wonneproppen in der Kapelle als Indiz, so kann Glaube nicht nur Berge versetzen.

Die 34 heute im Kloster lebenden Nonnen fühlen sich zwar nicht für zukünftigen Kindersegen zuständig, verstehen sich aber dennoch als Erbinnen der Seligen Irmengard. Nicht im Sinne ihrer übersinnlichen Kräfte – was Güte und Nächstenliebe angeht aber auf jeden Fall. Ganz nebenbei sind sie auch noch gute Geschäftsfrauen, die für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen. Ganz nach dem Lebensmotto der Benediktiner ora et labora öffnen sie ihre Klostermauern für Seminare und Kurse für Jedermann und betreiben einen gut sortierten Klosterladen mit Likören, Lebkuchen und Marzipan aus eigener Herstellung.

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Unweit des Klosters hat Sylvia Lex ihren Arbeitsplatz. Seit sie vor 18 Jahren ihrer großen Liebe wegen von Prien am anderen Seeufer auf die Fraueninsel übersiedelte, verkauft sie hier jeden Tag ab 10.30 Uhr Fischsemmeln: Dick belegt mit frisch geräucherten Renken, Aalen oder Braxen, die Thomas, ihr Mann, tags zuvor aus dem Chiemsee gezogen und am nächsten Morgen in den Rauch gehängt hat. So wie es in seiner Familie seit 1857 Usus ist, wurde auch er Fischer, und Florian, einer seiner 18-jährigen Zwillingssöhne, wird demnächst die Tradition in sechster Generation fortführen.

Sylvia, die den Eindruck macht, als sei ihr Job die reinste Kur, lebt gern auf der Insel, obwohl sie zugibt, dass es schon eine große Umstellung war, auf das etwa 26 Fußballfelder kleine Eiland mit gerade mal 300 Einwohnern überzusiedeln. Inzwischen aber genieße sie die Ruhe, die einkehrt, wenn das letzte Schiff am Abend die Insel verlässt. Genauso, wie sie sich freut, wenn das erste am Morgen im kleinen Hafen anlegt. Bei Sylvia Lex bekommen die Besucher dann nicht nur frischen Fisch, sondern auch so manchen Tipp dafür, was man sich neben dem Kloster auf der Insel unbedingt anschauen sollte. Ein paar Inselgeschichten gibt's selbstverständlich gratis obendrauf.

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Geschichten sind auch die Spezialität von Helga Schömmer. Sie lädt zwischen Anfang Mai und Ende Oktober täglich zu einstündigen »Seeführungen vom Festland« ein. Was nicht heißt, dass sie ihre unendlichen Geschichten von November bis Mai unter Verschluss legt. Die frühere Mitarbeiterin des Goethe-Instituts lässt sich zu jeder Zeit gern an den See locken, um beispielsweise zu erzählen, dass der knapp 80 Quadratkilometer messende Chiemsee, der während der letzten Eiszeit aus einem riesigen Gletscher entstand, ursprünglich drei Mal so groß war und, wenn es mit dessen Verlandung so weitergeht, in 9000 Jahren verschwunden sein wird. Bis dahin allerdings bleibt noch genügend Zeit, um am Ufer des Bayerischen Meeres zu spazieren. Wie es schon König Ludwig II. tat, der am 13. Juni 1886 unter dubiosen Umständen im Würmsee, dem heutigen Starnberger See zu Tode kam. »Nix gwiss woas ma need«, sagt die leidenschaftliche Gästeführerin. Aber was man gwiss woas, ist, dass Ludwig II. sich auf der mit 2,3 Quadratkilometer größten der vier Inseln im See, der Herreninsel, einen Traum erfüllen wollte: Ein Schloss. Und zwar nicht irgendeines, sondern eine Kopie dessen von Versailles, dem Prachtanwesen vom Sonnenkönig Ludwig XIV., den der Bayern-Monach unendlich verehrte. 1878 begannen die Bauarbeiten. Als Ludwig II. acht Jahre später das Zeitliche segnete, hatte er nur wenige Tage in dem nur halbfertigen Schloss verbracht.

Seine Reise zum Chiemsee verlief immer auf einem geheimen Weg, so dass die Anwohner nie mitbekamen, wann der Monarch in der Gegend war, weiß Helga Schömmer. Er kam mit einem Zug, der extra für den König angefertigt wurde. Vom Bahnhof in Rimsting ging's per Kutsche nach Urfahrn. Von hier – es ist die kürzeste Verbindung über den See – ließ sich der menschenscheue König zur Herreninsel hinüberrudern.

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Ludwigs bis heute unvollendetes Schloss ist täglich Ziel von vielen Besuchern. Doch anders als auf der Fraueninsel, wo es Hotels gibt, müssen alle am Abend das Eiland wieder verlassen. Zurück bleiben die 18 Bewohner der Herreninsel. Zu ihnen gehören Emina Cehajic, ihr Mann Musto und Sohn Armin. Die 47-Jährige ist Gärtnerin im Schlosspark. Vor 22 Jahren kam sie mit Musto, der als Maurer auf der Insel arbeitet, aus Bosnien hierher, längst ist die Herreninsel zur neuen Heimat geworden. Nein, einsam fühle sie sich nicht, sagt Emina, ganz im Gegenteil. Eher privilegiert, und wenn sie mal Stadtluft brauche, dann sei es doch nur ein Sprung übers Wasser, hinüber nach Prien.

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Diese Marktgemeinde mit gut 10 000 Einwohnern ist zwar schon rund 800 Jahre alt, wirkliche Bedeutung bekam der Ort jedoch erst 1860 mit der Eröffnung der Eisenbahnlinie von München nach Salzburg, an der Prien liegt. Von da an kamen immer mehr Touristen, Hotels und Pensionen entstanden und mit ihnen entwickelte sich die Dampfschifffahrt. Städter bauten Sommervillen und genossen die gute Luft am Bayerischen Meer. Bis heute ist der Luftkurort und einzige Kneippkurort Oberbayerns vom Tourismus geprägt. Eine Attraktion ist die 1887 gebaute Chiemseebahn, die älteste Dampfstraßenbahn der Welt, die zwischen Mai und Oktober noch immer die Besucher vom Ortszentrum zum Hafen kutschiert.

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Traditionspflege ganz anderer Art betreibt Monika Voggenau, sie ist die Einzige, die noch den Priener Hut herstellt und alte Hüte restauriert. Die Putzmacherin führt somit das Erbe von Anna Brunhuber fort, die die auffallende Kopfbedeckung 1879 zum ersten Mal öffentlich als »echt Priener Bauernhut« auf der Gewerbeausstellung in Berlin zeigte. Damals noch aus Stroh, wurde er schon bald aus schwarzem Hasenhaar-Filz hergestellt. Goldene Quasten – zwei auf dem Sonntagshut, vier auf dem Festtagshut – wurden kunstvoll obenauf genäht. Nicht sichtbar, deswegen nicht weniger prachtvoll, sind die Stickereien aus Goldfäden unter der Krempe. Einst trugen den Priener Hut die Bäuerinnen, 1920 übernahmen ihn die Trachtenvereine als »krönenden Abschluss« der Tracht. Heute trägt man ihn nur noch zu Festen, doch wie seit jeher wird er in der Familie weitervererbt.

Wer mehr über den Priener Hut erfahren will, der sollte im Heimatmuseum des Orts vorbeischauen. Ein ganzer Raum ist dort dem prachtvollen Kopfschmuck gewidmet. Und man hat die seltene Gelegenheit, auch mal unter die Krempe zu schauen. Angeblich soll nämlich an der Breite der goldenen Stickerei abzulesen sein, wie reich die Trägerin ist. Da muss schon ein Museumsstück herhalten, denn wer von den heutigen Hutträgerinnen würde sich schon freiwillig ins Konto schauen lassen?!

Refugium im Chiemsee – Fraueninsel mit Kloster Frauenwörth
Refugium im Chiemsee – Fraueninsel mit Kloster Frauenwörth
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