Atommüll auf Achse

Im Norden formiert sich der Widerstand gegen einen Castor-Transport nach Lubmin und eine Verschiffung nach Russland

  • Lesedauer: 4 Min.
Die Castoren sollen rollen und rollen: Im Dezember wird zum ersten Mal Atommüll aus Westdeutschland, der in Frankreich lagert, ins Zwischenlager Nord nahe Lubmin gebracht. Wann die geplanten Transporte aus Ahaus nach nach Russland starten, ist hingegen noch unklar – Bremen und Hamburg wollen die Castoren nicht in ihren Häfen haben.

Schwerin/Münster (dpa/ND). Das Atom-Zwischenlager Nord bei Lubmin sieht von außen aus wie die Produktionshalle einer Metallbaufirma. Wären da nicht Sperranlagen wie im Hochsicherheitstrakt einer Haftanstalt. Ein massiver Sicherheitszaun umgibt das Areal, ein Wachmann mit Schäferhund dreht seine Runde. Zahllose Überwachungskameras fangen jede Bewegung ein. Weiße Kugeln sprießen wie futuristische Designerlampen aus dem Rasen. Es sind Strahlenmessgeräte, wie Marlies Philipp von den Energiewerken Nord (EWN) als Betreiber der Anlage erklärt.

In den Hallen liegt der Atomschrott aus den DDR-Kernkraftwerken. 5500 Brennelemente, das sind rund 600 000 Kernbrennstäbe, lagern hier. Dazu sechs Reaktorbehälter aus Lubmin und Rheinsberg und jede Menge schwach- und mittelradioaktiver Abfall. Dafür wurde der Betrieb 1999 genehmigt. Im Dezember soll nun neuer Atommüll, der derzeit noch im französischen Cadarache deponiert ist, dazukommen. Erstmals werden dann Kernbrennstoffe aus Westdeutschland – vier Behälter mit Brennstäben des Forschungszentrums Karlsruhe sowie des Atomforschungsschiffes »Otto Hahn« – an die Ostsee gebracht und dort eingelagert. Genehmigt hat das der Bund, alleiniger Gesellschafter der EWN.

Es soll kein Endlager entstehen

Atomkraftgegner erwarten den Transport für die Tage vom 21. bis 23. Dezember und kündigten schon »Aktionen in Lubmin, Greifswald und ganz Mecklenburg-Vorpommern« an. Für den 18. Dezember sei als Auftakt eine Großdemonstration in Greifswald geplant. Wie bei den jüngsten Massenprotesten im Wendland solle es auch Schienenblockaden geben.

Auch die Landtagsfraktion der LINKEN will die Proteste gegen die bevorstehenden Atomtransporte vorantreiben. Fraktionschef Helmut Holter kündigte für den 7. Dezember eine Fraktionssitzung »vor Ort« an. Wie die Aktion genau aussehen wird, wollte Holter nicht verraten. »Es wird eine Manifestation auf der Straße geben«, sagte er. Auf Antrag der Linken befasst sich der Landtag am Mittwoch in einer Aktuellen Stunde mit der Zukunft des Standortes und der Atompolitik des Bundes.

»Wir haben die große Sorge, dass das Zwischenlager schleichend zu einem Endlager wird«, sagte Holter. Der Landesregierung warf er vor, sie unternehme nicht genug gegen die Transporte. Unter Rot-Rot habe der damalige Umweltminister Wolfgang Methling (LINKE) gegen diese Pläne geklagt. Zwar habe er vor Gericht verloren, aber: »Er hat das gebotene Maß an Widerstand gezeigt«, so Holter. Die Linksfraktion werde die Landesregierung zudem auffordern, sich der Verfassungsklage gegen die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke anzuschließen.

SPD-Fraktionschef Norbert Nieszery stellte klar, dass eine Vereinbarung aus den neunziger Jahren vorsehe, dass bei Lubmin auch Atommüll aus Forschungsanlagen des Bundes zwischengelagert werden dürfe. Nieszery betonte, dass er die unbegrenzte »Pufferlagerung« von Atommüll dort ablehne. »Das kommt nicht in Frage, sonst haben wir ein Zwischenendlager.«

Nach Überzeugung der CDU ist die Sorge um eine zeitliche Ausdehnung der Atommülllagerung in Mecklenburg-Vorpommern unbegründet. »Klar ist, dass das Zwischenlager Nord bei Lubmin niemals ein Endlager für radioaktives Material sein wird«, betonte der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Harry Glawe. Der LINKEN warf er vor, mit »einer weit an der Wahrheit vorbeigehenden Polemik« die Menschen zu verunsichern.

Transport nach Russland fehlt der Hafen

Auch die Auseinandersetzungen um den geplanten Transport von Atommüll aus dem früheren DDR-Kernforschungszentrum Rossendorf bei Dresden nach Russland, der im nordrhein-westfälischen Ahaus gelagert ist, gehen weiter. Angesichts des Widerstandes in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen sehen Atomkraftgegner keine Möglichkeit für den umstrittenen Castor-Transport. »Ohne Hafen sind die Castor-Transporte nach Russland nicht durchführbar«, sagte Felix Ruwe von der Bürgerinitiative »Kein Atommüll in Ahaus« am Montag. »Es ist nun an der Zeit, dass Bundesumweltminister (Norbert) Röttgen einsieht, dass der Atommüllexport nach Russland unverantwortbar und nicht durchsetzbar ist.«

Der Hamburger CDU/Grüne-Senat will nicht dulden, dass der geplante Atommülltransport ins russische Majak über den Hafen der Hansestadt abgewickelt wird. Das machte Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) am Freitag klar. Zuvor hatte Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) mitgeteilt, dass sich die zuständige Kommission für Hamburg als Umschlagshafen entschieden habe. Ursprünglich waren auch Bremerhaven und Bremen im Gespräch – dagegen hatte der kleinere Stadtstaat aus Sicherheitsgründen massive Bedenken geltend gemacht. Die Bremer Bürgerschaft hatte darüber hinaus vergangene Woche beschlossen, generell keine Atomtransporte in den eigenen Häfen mehr dulden zu wollen.

Sachsen hatte die rund 950 Brennelemente im Frühjahr 2005 mit 18 Castor-Behältern nach Ahaus bringen lassen, da Rossendorf als Zwischenlager nicht zugelassen war. Von dort aus soll die atomare Fracht nun in den russischen Atomkomplex Majak im Südural gebracht werden. Das Gelände gilt zusammen mit der Region Tschernobyl als am stärksten radioaktiv verstrahlter Ort der Erde. Einen konkreten Termin für den Transport gibt es nach Angaben der Bundesregierung bislang nicht.

Nach Angaben der Atomkraftgegner formiert sich breiter Widerstand gegen den Castor-Export. »Immer mehr deutsche Initiativen unterstützen den Offenen Brief russischer Umweltschützer an Kanzlerin Merkel, den Atommüllexport zu verbieten. Hier entwickelt sich eine große deutsch-russische Solidaritätswelle. Gemeinsam werden wir diesen hochriskanten Atomdeal stoppen«, zeigte sich Matthias Eickhoff vom »Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen« überzeugt.

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