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Dunkle Schatten über Haitis Wahl

Vorwürfe wegen »massiven Betrugs«, Regierungsgegner rufen zu »friedlichem Protest« auf

  • Hans-Ulrich Dillmann,
  • Lesedauer: 4 Min.
Santo Domingo

Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Haiti – knapp elf Monate nach dem verheerenden Erdbeben in dem Karibikstaat – werden von Betrugsvorwürfen und Protesten überschattet. In der Hauptstadt Port-au-Prince protestierten am Sonntagabend mehrere tausend Menschen, 13 der 19 Kandidaten forderten eine Annullierung des Urnengangs. Die provisorische Wahlkommission erklärte ungeachtet dessen, die Abstimmung sei »erfolgreich« verlaufen.

Kein Zweifel: Bei den Wahlen im Haiti ist es zu schweren Manipulationen bekommen. Wähler seien eingeschüchtert worden, berichten Augenzeugen im haitianischen Rundfunk. Einige Wahllokale wurden erst gar nicht eröffnet, in anderen hatten sich Anhänger des Kandidaten der Regierungspartei »Inité« (kreolisch für »Einheit«) am Vorabend verschanzt und bereits mit Stimmzetteln gefüllte Urnen hinterlassen. Und wie zu erwarten gewesen war, standen auf den Wahllisten etliche Personen, die beim schweren Erdbeben im Januar dieses Jahres ums Leben gekommen waren.

Wie viele der 4,6 Millionen Stimmberechtigten sich an den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen beteiligt haben, war am Montag noch nicht bekannt. Und trotzdem feierten die Anhänger der vom amtierenden Staatschef René Préval gegründeten Einheitspartei ihren Kandidaten Jude Celestín als künftigen Staatspräsidenten. Der 48-Jährige ist der Schwiegersohn Prévals, der ursprünglich dafür plädiert hatte, seine eigene Amtszeit zu verlängern, und nur auf internationalen Druck bereit war, seinen Thron zu räumen.

Bereits die Eröffnung der Wahllokale im ganzen Land war von Schwierigkeiten überschattet gewesen, die nach den Ankündigungen des Provisorischen Wahlrats (CEP) und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) nicht hätten vorkommen dürfen. In Abstimmungszentren gab es kein Licht, Helfer versuchten im Schein von Mobiltelefonen und Kerzen, die Wahlkabinen aufzubauen. In anderen Wahllokalen waren die Unterlagen über die Stimmberechtigten verschwunden, so dass sich Wählerinnen und Wähler vergeblich anstellten.

Im Armenviertel Cité Soleil der Hauptstadt Port-au-Prince sollen nach einem Bericht der spanischen Nachrichtenagentur efe Gruppen von zehn bis zwölf Personen von einem Wahllokal zum anderen gezogen sein, um Stimmzettel in die Urnen zu werfen. Die Wahlhelfer hätten darauf nicht reagiert, berichtet efe unter Berufung auf Augenzeugen.

In der Erdbebenregion sollen »tote Seelen« nicht nur auf den Wahllisten gestanden haben. Nach Berichten haitianischer Radiostationen sollen Ausweise von Toten auch zur Stimmabgabe benutzt worden sein. In St. Marc, rund 80 Kilometer nördlich der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince, stürmten nach einer Meldung von Radio »Metropole« aufgebrachte Anhänger der rechtskonservativen Präsidentschaftskandidatin Mirlande Manigat aus Protest das Wahllokal und vernichteten die Urnen. Anwesende UN-Blauhelmsoldaten griffen nicht ein.

Unbeeindruckt von den Vorwürfen, teilte der Präsident des Provisorische Wahlrats mit, dass es keine Manipulationen gegeben habe. Die Wahl sei erfolgreich abgeschlossen worden, betonte Gaillot Dorsainvil nach Schließung der Wahllokale. Lediglich in 56 von 1500 Wahlzentren sei es zu Unregelmäßigkeiten gekommen, die jedoch die »Glaubwürdigkeit der Wahl« nicht in Frage stellten. Die Abstimmung dort werde wiederholt.

Die Vereinten Nationen drückten derweil ihre »tiefe Besorgnis angesichts der zahlreichen Vorkommnisse, die die Wahlen beschädigt haben«, aus. Die UN-Mission in Haiti MINUSTAH rief die Bevölkerung zur Ruhe auf und warnte vor »dramatischen Konsequenzen«, sollte sich die Sicherheitslage verschlechtern.

Aufgrund des »massiven Betrugs« hatte sich bereits wenige Stunden nach Öffnung der Wahllokale die Mehrzahl der Präsidentschaftskandidaten an die Öffentlichkeit gewandt und die Annullierung der Wahl gefordert. Die Manipulationen seien das Werk der Regierungspartei, betonte die 70-jährige Mirlande Manigat, die als aussichtsreichste Amtsbewerberin galt. An ihrer Seite saßen der ehemalige Ministerpräsident Jacques Edouard Alexis, der Musiker »Sweet Michey« Michel Martelly, der Unternehmer Charles Henry Baker, die bei der Kür des Präsidenten noch ein Wort mitzureden hofften, wie auch weniger aussichtsreiche Kandidaten wie Jean Henry Ceant, Wilson Jeudy und Leslie Voltaire. In einer gemeinsamen Erklärung riefen sie die »Männer und Frauen Haitis zu friedlichen Protesten gegen die Regierung Preval« auf.

Nach der ungewöhnlichen Deklaration kam es im ganzen Land zu massenhaften Protesten gegen die Wahlen und vor allem gegen Amtsinhaber René Préval und seinen Kandidaten Jude Celestín. In der oberhalb der Hauptstadt gelegenen Kleinstadt Petión Ville versammelten sich Tausende und zogen vor den Sitz des Provisorischen Wahlrats, um Neuwahlen und die Absetzung der Verantwortlichen und des Präsidenten zu fordern. Auch im Norden des Landes, in Cap Haïtien und Port de Paix, sowie in den südlichen Hafenstädten Jacmel und Jérémie kam es zu Großdemonstrationen gegen den Wahlrat und die amtierende Regierung.

Der Wahlrat will am Dienstag oder Mittwoch ein vorläufiges Wahlergebnis veröffentlichen. Beobachter glauben, dass keiner der Bewerber die erforderliche absolute Mehrheit erhalten hat, so dass ein zweiter Wahlgang am 16. Januar notwendig sein wird.

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