Temperament und Torten

Werkschau von und mit Nanni Moretti im Arsenal

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

»Ich bin ein Kommunist!« Wie eine Erleuchtung überkommt den Mann in der weißen Badehose diese Erkenntnis. Denn Michele Apicella hat bei einem Autounfall das Gedächtnis verloren und muss seine Identität wiederfinden. Die Umwelt des Freizeit-Wasserballers lässt ihn indes bald wissen, dass er ein recht berühmter Kommunist ist und im TV über den Zustand seiner Partei sinniert. In »Palombella rossa« (»Wasserball und Kommunismus«, 1989) spielt der italienische Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Nanni Moretti, wie so oft, die Hauptfigur selbst. Rückblenden in die Kindheit sowie Sport und Politik definieren diesen Michele Apicella. In etlichen Filmen fungiert er als eine Art Alter Ego des Regisseurs.

So ist auch Moretti, Jahrgang 1953, der in den 70ern tatsächlich Wasserballer war, als Künstler wie Privatmensch ein engagierter Linker. 1990 zeigte er in der Dokumentation »La Cosa« (Die Sache) Basismitglieder der in die Krise geratenen italienischen KP. Eine beeindruckende Streitkultur und das Bemühen um eine bessere Gesellschaft zeichnet die Akteure vor seiner neutralen Kamera aus.

Ansonsten ist Moretti jedoch kein Regisseur der leisen Töne. Seine Anliegen übersetzt er durch Allegorien und Übertreibungen. Etwa, wenn in »Palombella rossa« Dutzende Wasserballer die Schluss-Szene von »Dr. Schiwago« vor dem Fernseher lautstark wie einen Sportwettbewerb verfolgen. Als wahre Klischee-Italiener liefern sich Morettis Figuren – oft wild gestikulierend – hitzige Verbalschlachten, und zuweilen schlagen sie auch zu.

So der Priester Giulio, den Moretti in »La messa è finita« (1986) spielt und der einmal wutentbrannt auf seine Schwester eindrischt, weil sie abtreiben will. Der junge Geistliche steht auf verlorenem Posten in einer Welt veränderter Moralvorstellungen, in der zudem Egoismus und Indifferenz herrschen.

Generell können die Moretti’schen Helden die Unvereinbarkeit zwischen ihren Idealen und der Realität nur schwer verkraften. So empört sich der Protagonist in »Bianca« (1984) dermaßen über sich trennende Liebespaare, dass er in Mordverdacht gerät. Häufig filmt Moretti Alp- und Tagträume oder Sequenzen, in denen die Figuren unvermittelt sittliche Konventionen überschreiten: Das verleiht ihnen ein absurdes Flair und unterstreicht Morettis Stil: Ernst in der Sache, phantasievoll im Ton. Auch in einem seiner schönsten Filme, dem stark autobiografischen »Liebes Tagebuch« (1994), gibt es solche absurden Momente: Moretti fährt auf der Vespa durch die Straßen und erteilt Auskunft über seine Vorlieben und Leiden.

Ohne Überzeichnung – wenn auch nicht ohne leicht absurde Elemente – kommt dagegen das berührende Drama »Das Zimmer des Sohnes« aus. Einfühlsam erzählt es von der Trauer einer bildungsbürgerlichen Familie nach dem Verlust ihres Sohnes. Für diesen Film erhielt der Regisseur 2001 zu Recht die Goldene Palme in Cannes.

Sport, ein anderer roter Faden bei Moretti, steht dagegen für Kampfgeist und Widerstand. Solchen leistet Moretti seit jeher gegen Berlusconi: nicht nur öffentlich, sondern auch filmisch. In »Der Italiener« (2007) lässt er es sich nicht nehmen, den »Cavaliere« am Ende sogar selbst zu mimen. Dieses Finale bildet den Höhepunkt eines Films, in dem die Schilderung von Dreharbeiten zur bissigen Parodie auf die italienische Gesellschaft wird.

Doch Moretti gönnt seinen temperamentvollen Charakteren gelegentlich auch Ruhepausen. Dann werden auf der Leinwand Süßigkeiten (meist Torten) verzehrt – folgerichtig für einen Künstler, dessen Produktionsfirma »Sacher Film« heißt.

Vom 4.12. bis 29.12. im Arsenal, am 4. und 5. 12. ist der Regisseur anwesend

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