Werden Menschen erfrieren?

Hermann Pfahler über die Kältehilfe zum Wintereinbruch in Berlin / Pfahler ist Referent für Wohnungslosenhilfe beim Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg

  • Lesedauer: 3 Min.
Fragwürdig: Werden Menschen erfrieren?

ND: Eis und Schnee in Berlin. Werden wieder Menschen erfrieren?
Pfahler: Die Gefahr besteht leider. Wir wissen nicht immer, wo die Menschen draußen die Nacht verbringen. Manchmal merken die Leute aufgrund von Krankheit oder auch Suchtproblemen die Kälte nicht. Wenn sie dann niemand findet, erfrieren sie. Hinzu kommen Fälle, wo Leute im letzten Jahr in der Wohnung erfroren sind, weil sie keine Heizung mehr hatten.

Zu den frostigen Temperaturen der vergangenen Tage kam gestern heftiger Schneefall. Was bedeutet der Schnee für wohnungslose Berliner, die sich lange Zeit des Tages draußen aufhalten?
Draußen unterkühlen sie und werden krank. Das Problem ist, dass die Einkaufscenter Sicherheits- und Wachdienste beschäftigten, die die Leute hinaustreiben müssen. Es wäre schön, wenn bei solchen Witterungsverhältnissen auch ein bisschen Menschlichkeit gezeigt würde und man die Leute sich auch mal in diesen Kauftempeln ein bisschen aufwärmen lassen könnte.

Wie sieht Ihre Bilanz nach einem Monat Kältehilfe aus?
Nach unserer vorläufigen Statistik hatten wir im November 9493 Übernachtungen. Damit sind unsere Einrichtungen bereits nach einem Monat voll und wir benötigen zusätzliche Plätze.

Ist das ein Hinweis darauf, dass es in diesem Jahr mehr Wohnungslose als letztes Jahr gibt?
Das hatten wir bereits vermutet, können es aber erst am Ende der Kälteperiode belegen. Es sieht aber so aus, dass vermehrt Frauen nach Übernachtungsmöglichkeiten suchen und wir speziell für sie dringend Plätze brauchen.

Was wäre nötig?
Wir brauchen 80 bis 100 zusätzliche Plätze. Das kann man nicht mit 2,50 Euro machen. Wir brauchen auch Betreuungspersonen, die über Nacht da sind, damit die Leute sicher schlafen können. Aber das sind für den Berliner Haushalt keine Unsummen.

Wo wäre Raum für diese Plätze?
Wir denken an Kitas und Schulen, die nicht gebraucht werden. Diese Räume könnten wir kurzfristig und schnell zu Übernachtungseinrichtungen umbauen. So eine Immobilie muss ja auch im Winter geheizt werden, selbst wenn sie leer steht. So können dort auch ein paar Obdachlose übernachten.

Das kostet aber.
Wir bitten die Berliner, dass sie uns mit Geldspenden helfen – und vielleicht stellt der Finanzsenator noch ein paar Euro zur Verfügung – damit wir die Betreuung sowie etwas Essen für die Ärmsten in der Stadt bereitstellen können. So kriegen wir das schon hin. Auch unsere Helfer und Mitarbeiter sind bereit, vollen Einsatz zu bringen.

Können die Berliner helfen, dass Wohnungslose nicht in der Kälte bleiben müssen?
Ja. Wenn sie jemanden sehen, der draußen nächtigt, können sie das Kältehilfetelefon anrufen. Und wir sind dankbar für Spenden. Aber wird fordern auch die Jobcenter dazu auf, die Sicherung der Unterkunft und der Energie zu gewährleisten. Auch in einer unbeheizten Wohnung können Menschen erfrieren. Die Einstellung der Leistungen zum Lebensunterhalt kann unter den derzeitigen Witterungsverhältnissen tödlich enden.

Fragen: Katja Herzberg

Kältehilfetelefon: (030) 680 811 07 Spendenkonto: Diakonie DWBO, Berliner Sparkasse, Ktonr.: 1900, BLZ: 100 500 00, Stichwort »Obdachlose 2010«

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