Theater am Kudamm

Nicht nackt, nur als Akt

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Die schönsten Geschichten schreibt das Leben. Diese stammt aus dem nordenglischen Yorkshire. Der kirchliche Frauenverein gibt dort jedes Jahr einen meistens langweiligen Kalender heraus, dessen Verkauf wohltätigen Zwecken dient. Im bewussten Jahr kam eine Frau auf die ungewöhnliche Idee, dass sich einige von ihnen für das fotografische Hochglanzprodukt ausziehen könnten. Gegen den Willen der Kirche wurde der Kalender produziert und ein Erfolg, der alle Erwartungen übertraf. Fast 580 000 englische Pfund kamen zusammen. Dabei sollte der Erlös lediglich ausreichen, das »menschenfressende« Sofa mit üblen Sprungfedern im Wartezimmer der Leukämie-Station im örtlichen Krankenhaus zu ersetzen.

Die Geschichte der »Kalender Girls« wurde vom englischen Autor Tim Firth aufgegriffen. Er schrieb das Drehbuch für den erfolgreichen Film (GB/USA) von 2003. In deutscher Erstaufführung inszenierte Martin Woelffer nun eine zweistündige Fassung von Wolf Christian Schröder für das Theater am Kurfürstendamm, die bis auf Kleinigkeiten gut gelang. Kein Wunder, schließlich sind dafür sieben fabelhafte Frauen auf der Bühne.

Im Mittelpunkt Sabine Orléans als Chris, die Initiatorin des Kalenders. Marijam Agischewa spielt ihre beste Freundin Annie. Der Tod von Annies Mann John, der an Leukämie erkrankt war, lässt die Damen auf die Kalender-Idee kommen. Die Frauen von Yorkshire, hatte er gesagt, seien wie die Blumen von Yorkshire. In der letzten Phase der Blüte seien sie am schönsten. Also wollen die Grazien – allesamt über die 50 – in seinem Sinne ihre, wie sie sagen, »specktakulären« Ansichten für den guten Zweck bekannt machen. Nein, nicht nackt, nur als Akt.

Johns Sterben gerät zu pathetisch, die Szene geht zu Lasten von Konflikten, die der Geschichte eigen sind. Großartig ist dagegen jene Passage, während der die Fotos für den Kalender gemacht werden. Schlagfertig und witzig zeigen sich Manon Straché als Ruth, Brigitte Grothum als Jessie, Sivia Wintergrün als Celia und Anne Kasprik als Cora. Nela Bartsch gibt die Vereinsvorsitzende überzeugend zickig und verklemmt. Was sie aber allesamt sind und was sie darstellen, sind tolle Frauen, die keine Probleme mit dem Alter haben. Vielmehr hat das Alter eins mit ihnen. Das lassen sie auch auf Plakaten fürs Stück überall in Berlin sehen. Nein, hier geht’s nicht um Pflegeprodukte für die reife Haut.

Dass der Kalender ein Renner wird, weil sich viele Menschen bei den Frauen melden, die auch Angehörige durch die heimtückische Krankheit verloren, und weil eben große Zeitungen kleine Zeitungen lesen und sich schließlich das Fernsehen einschaltet, muss die Frauen in der Geschichte zeitweise überfordern und ihre Beziehungen untereinander strapazieren. Gut herausgearbeitet ist, wie sich Ruth angesichts ihres sie betrügenden Mannes emanzipiert. Probleme, die Chris in ihrer Ehe auslöst, bringt Woelffer dagegen leider nicht zum dem Stück eigentlich innewohnenden guten Ende. Denn die Männer kommen bei der Geschichte insgesamt positiv weg.

Die Bühne jedoch gehört den Frauen. Die männlichen Darsteller Matthias Zahlbaum und Tobias Schulze halten sich zurück. Sie hätten ohnehin keine Chance. Martina Mann indes steht die negativen Rollen als langweilige Vortragstante und Geliebte des Fremdgängers tapfer durch.

Bis 21. Januar, Theater am Kudamm, Kurfürstendamm 206, Charlottenburg, Tel.: 88 59 11 88

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