Vergessener Neuerer

Bildhauer Begas im Deutschen Historischen Museum Berlin

  • Peter H. Feist
  • Lesedauer: 5 Min.
»Merkur entführt Psyche«, 1878 (Detail)
»Merkur entführt Psyche«, 1878 (Detail)

Der figurenreiche Neptunbrunnen in der Freifläche vor dem Berliner Roten Rathaus mit seinen fantastischen Tiergestalten und attraktiven unbekleideten weiblichen Schönheiten auf dem Brunnenrand gehört sicher zu den von Touristen am meisten bestaunten und fotografierten Objekten in der Stadt. Dass der Name seines Schöpfers auch den meisten Berlinern unbekannt und wohl auch gleichgültig ist, trifft wohl in jeder Stadt auf nahezu alle öffentlichen Skulpturen zu. Über Kunstgeschichte weiß eben leider nur eine Minderheit Bescheid.

Reinhold Begas (1831-1911), der den Brunnen entwarf und ausführte, ist darüber hinaus in besonderem Maße aus dem Bewusstsein auch der Kunstinteressenten verdrängt worden. Dem soll kurz vor seinem 100. Todestag eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums entgegenwirken. Das DHM geht immer wieder den Zusammenhängen zwischen der allgemeinen Geschichte und der Kunstgeschichte nach und folgt damit einem neuerdings zu Recht wieder stark beachteten Forschungsansatz. Mit der Begas-Ausstellung setzt Hans Ottomeyer einen eindrucksvollen Schlusspunkt seiner Tätigkeit als Präsident der Stiftung DHM. Seine Mitarbeiterin Esther Sophia Sünderhauf realisierte die materialreiche Schau, und es fanden sich die Mittel, um in den Katalog das erste vollständige Werkverzeichnis von Begas' bildhauerischen Arbeiten aufzunehmen, das Jutta v. Simson, ausgewiesene Kennerin der Berliner Plastik des 19. Jahrhunderts, aufstellte. Es ermöglicht nicht nur den Fachleuten eine genauere Vorstellung von beispielsweise der Vervielfältigung und Verbreitung von Bildwerken durch Wiederholungen, Verkleinerungen, Ausführung in billigerem Material. Erst so lässt sich der Beitrag, den auch die bildende Kunst zum ausschlaggebenden gesellschaftlichen Bewusstsein von Gegenwart und Geschichte leistet, richtig abschätzen.

Begas empfing schon als Kind Anregungen vom Vater, dem angesehenen biedermeierlichen Porträtisten und preußischen Hofmaler, studierte bei Wichmann, Schadow, Rauch, die auch seine Taufpaten waren, und hatte mit 21 Jahren seinen ersten Ausstellungs- und Verkaufserfolg. Bald konnte er zu Studien nach Rom aufbrechen, wo er u.a. mit dem Schweizer Maler Böcklin Freundschaft schloss und unter dem Eindruck der Kunst Michelangelos und des Barockmeisters Bernini kühn von dem verhaltenen Klassizismus seiner Lehrer abrückte. Bei gleicher Themenwahl aus antiker oder biblischer Mythologie gab er seinen Figuren einen dynamischen Bewegungsreichtum und eine bislang unübliche starke Sinnlichkeit nach offensichtlich zeitgenössischen Modellen. Außerdem bearbeitete er die Oberfläche seiner Marmorskulpturen so, dass jedes Detail vollkommen naturgetreu erschien und unter der Haut das Blut in den Adern zu pulsieren schien. Mit solcher Neuerung stieß er zunächst vorwiegend auf Ablehnung. Bemerkenswert ist, dass er 1858 Ferdinand Lassalle, der damals noch Marx und Engels nahestand und später den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein gründete, bat, ihn porträtieren zu dürfen. Das Werk blieb leider nicht erhalten.

Mit dem Auftrag Berlins, die Allegorie der »Borussia« als Schützerin von Handel und Gewerbe, umgeben von Figuren anderer Bildhauer, auf dem Dachgesims der neuen Börse in der Burgstraße zu schaffen, begann 1860 die Reihe monumentaler Arbeiten, die zusammen mit Porträtbüsten den Platz von Begas in der Kunstgeschichte bestimmen sollten. Gerade dies kann freilich in einer Ausstellung nur mit Modellen, Abbildungen, Dokumenten und Bildnissen aus dem persönlichen Umfeld angedeutet werden.

Begas musste sogleich Erfahrungen machen, die Künstler bei öffentlichen Kunstwerken bis heute durchzustehen haben. Auftraggeber, Kommissionen, die Kosten bewilligenden Parlamente und öffentliche Meinung können Änderungen verlangen und den Entstehungsprozess verzögern. 1861/62 entwarf Begas ein Schiller-Denkmal, für das ein Wettbewerb ausgeschrieben war. 1863-65 musste er seinen Entwurf überarbeiten, 1866-69 entstand die Marmorfassung, erst 1871 wurde es auf dem Gendarmenmarkt eingeweiht. In der NS-Zeit wurde es entfernt, 1988 wiedererrichtet.

Das steigende künstlerische Ansehen von Begas ermöglichte ihm, 1878 der Landeskunstkommission einen großen Brunnen in der Art römischer Barockbrunnen für den Berliner Schlossplatz vorzuschlagen, der dann 1882-91, nun auf Kosten der Stadt als Geschenk an Kaiser Wilhelm II. entstand, dem er aber nicht besonders gefiel. Im Zweiten Weltkrieg zum Schutz eingemauert, wurde der Brunnen nach der Sprengung des Schlosses 1951 demontiert und eingelagert, 1967 in Lauchhammer restauriert und 1969 am jetzigen Ort wieder aufgestellt. Ausstellung und Katalog befassen sich nicht mit der interessanten Frage, wer und mit welchen Argumenten in der DDR für einen so zentralen Wirkungsort des Begas’schen Meisterwerks eintrat – was ihm bevorsteht, wenn das Humboldt-Forum-Schloss gebaut wird, ist unklar.

Begas' Fähigkeit, starke Gefühle, Selbstbewusstsein und Machtansprüche sehr überzeugend plastisch auszudrücken, stimmte mit der herrschenden Ideologie und Geisteshaltung im 1871 geschaffenen Reich und speziell Preußen und dann vor allem mit dem Auftreten Wilhelms II. ab 1888 so überein, dass er nicht nur die repräsentativen Porträts schaffen konnte, sondern auch den Wettbewerb für das gigantische »Nationaldenkmal« für Kaiser Wilhelm I. vor dem Berliner Schloss gewann. Er musste dabei Eingriffe Wilhelms II., der gern selbst künstlerisch dilettierte, hinnehmen, bis Europas zweitgrößtes Monument 1897 vollendet war. Obwohl der Kaiser mittlerweile eher deutsch-mittelalterlichen, als römisch-barocken Stiltendenzen zuneigte, blieb an Begas die Einschätzung haften, er sei die Verkörperung des Wilhelminismus in der Kunst, den jüngere Künstler und Kritiker und politische Gegner zunehmend verabscheuten. Nach 1918 verschwand Begas' Name bald völlig aus der Fachliteratur, und nach 1945 riss die politische Entwicklung auch sein Nationaldenkmal in den Abgrund. Das NS-Regime hatte es stehen lassen, aber nachdem die alliierten Sieger den Staat Preußen auflösten, beschloss schon der Gesamtberliner Magistrat 1946 den Abriss, und die DDR-Regierung begann Ende 1949 noch vor der Sprengung des Schlosses mit der Beseitigung dieses Symbols des deutschen Militarismus und Imperialismus. Nur vier nach Entwürfen von Begas durch August Gaul und August Kraus modellierte Löwen kamen später in den Tierpark Friedrichsfelde. In Westberlin wurden die Plastiken der von Begas konzipierten Siegesallee vergraben, um ihre Zerstörung zu verhindern. Sie warten auf ihre Ausstellung, die in Spandau vorgesehen ist.

Es ist nicht anzunehmen, dass die Bildhauerkunst von Reinhold Begas noch einmal eine direkte Vorbildwirkung für Bildhauer erlangt, aber seit in den letzten Jahren neben anderen Strömungen auch das figürliche Gestalten eine wachsende Rolle spielt, sieht man die Erfindungsgabe und die Kombination von Naturnähe und mitreißendem Schwung, die Begas in die deutsche Plastik einführte, mit berechtigter Aufmerksamkeit – so wie schon 1990 Peter Bloch, der damalige Direktor der Westberliner Skulpturensammlung.

Die reiche Dokumentation, die Werk und Person von Begas durch das neue Medium der Fotografie erfuhr, wird jetzt auch durch eine parallele Ausstellung im Georg-Kolbe-Museum hervorgehoben.

Begas: Monumente für das Kaiserreich; Berlin, Deutsches Historisches Museum, Ausstellungshalle von I. M. Pei, bis 6. 3. – Photographien: Vom Atelier in die Stadt; Kolbe-Museum, Berlin, bis 16. 1.

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