Zurück im Ring

Vom Krebs ließ sich Boxprofi Francesco Pianeta nicht besiegen

  • Manfred Hönel
  • Lesedauer: 4 Min.
Francesco Pianeta schlägt seinen Gegner und den Krebs K.o. Foto: imago
Francesco Pianeta schlägt seinen Gegner und den Krebs K.o. Foto: imago

Eine kleine Gruppe keucht durch den Schnee im Trainingscamp Kienbaum. Es ist eisig in der Mark Brandenburg, die Joggingwege sind unter einer dicken Schneedecke versteckt. »Ich muss aufpassen, dass ich nicht ausrutsche«, sagt Francesco Pianeta. Genau nach einem Jahr Pause mit vielen Ängsten, darf der Gelsenkirchener wieder in den Ring klettern. Es ist das glücklichste Comeback des Jahres. Er trifft in einem Schwergewichtsduell auf den US-Amerikaner Mike Middleton. »Der Kampf ist die glücklichste Stunde im meinem Leben«, sagt der Deutsch-Italiener.

Ein Schmerz in der Leiste

Rückblick: Mitte Februar. »Bei Schlagtests kam ich auf Bestwerte. Doch in meiner Leiste spürte ich einen ziehenden Schmerz«, erinnert sich Pianeta. Trainer Ulli Wegner griff sofort zum Telefon, sorgte für einen Untersuchungstermin beim Arzt gleich am nächsten Tag. »Mein Trainer ist ein harter Hund am Ring, doch in solchen Momenten zeigt er sein zweites Gesicht – als besorgte Vaterfigur«, sagt Pianeta, der mit einem flauen Gefühl im Magen in die Unfallklinik in Berlin-Marzahn fuhr.

Einen Tag später die schockierende Diagnose: Hodengeschwür. Ob gut- oder bösartig, war noch unklar. Nur fünf Tage später, am 17. Februar, lag Pianeta schon auf dem OP-Tisch. Eigentlich wollte er vor der Operation noch in England boxen. Doch Wegner hatte den Kampf sofort abgesagt: »Erst die Gesundheit, dann der Sport.«

»Ich war gerade aus der Narkose erwacht, als einer der Ärzte an mein Bett trat: ›Herr Pianeta, ich muss ihn leider mitteilen, es war ein bösartiges Geschwür. Wir mussten einen Hoden entfernen.‹ Ich wollte die Tränen unterdrücken. Es ging nicht. Ich weinte wie ein kleines Kind. Jetzt bist du nur noch ein halber Mann, schoss es mir durch den Kopf«, schildert er die bitterste Stunde seines Lebens.

Pianetas Frau Concetta und den Eltern in Gelsenkirchen hatte der Boxer erzählt, er werde wegen eines Leistenbruchs operiert. »Ich wollte sie nicht beunruhigen. Nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus habe ich die Familie aber zusammengetrommelt. Sogar meine Oma kam aus Kalabrien. Sie dachten, ich will mich von Concetta trennen«, berichtet Francesco. Nachdem er ihnen jedoch von seiner Krankheit erzählte, riss seine Mutter ihre Augen weit auf, dann schlug sie die Hände vors Gesicht und schluchzte. »So hatte ich meine Mutter noch nie gesehen«, erzählt der Boxer. Alle weinten mit. »Auch unser kleiner Sohn, obwohl er gar nicht verstand, worum es ging. Es war schwer für mich, die Fassung zu behalten«, sagt der 1,92 Meter große Koloss.

Hilfe von Lance Armstrong

Kurz darauf fuhr der Boxer wieder nach Berlin zur ersten Chemotherapie. Ihm wurde schlecht dabei. Gleich am nächsten Tag besorgte sich Pianeta das Buch von Radstar Lance Armstrong »Die Tour des Lebens. Ich besiegte den Krebs und gewann die Tour de France«. Francesco verschlang die Zeilen. »Das Buch gab mir Hoffnung. Lance hatte die gleiche Krankheit wie ich. Er hat mit eisernem Willen den Weg zurück in den Rennsattel geschafft. Ich werde das auch packen«, ist sich der Boxer sicher.

Nach der zweiten Chemo fielen ihm die ersten Haare aus. »Macht nichts«, sagte seine Frau. »Morgen lässt du dir den Kopf kahl scheren.« Als er vom Friseur zurückkehrte, scherzte der nichts ahnende Cousin: »Francesco, lass dir wieder Haare wachsen. Du siehst aus wie ein Krebskranker!« »Die Worte trafen mich wie ein K.o.-Schlag. Danach hat er sich hundertmal entschuldigt«, kann Pianeta nun darüber lachen. Die Haare sind längst nachgewachsen.

Pianetas Familie ist streng katholisch. »Ich glaube fest an Gott«, sagt der Boxer, der aber zugibt, selten in die Kirche zu gehen, auch nicht während der langen Leidenszeit: »Ich wäre mir schäbig vorgekommen, nun plötzlich vor Gott zu stehen und zu betteln. Ich glaube, Gott hat mir auch so geholfen. Weihnachten werde ich ihm dafür danken.«

Seit Mai trainiert Francesco wieder: »Comeback! Das sagt sich so leicht. Es war aber hammerhart. Nach 200 m Joggen hatte ich schon einen Puls von 175. Ich wog 129,5 kg. Jetzt bin ich wieder bei meinem Wettkampfgewicht von 107 Kilo. Gerade in den ersten Wochen half mir Armstrongs Buch«, meint Pianeta.

21 Profikämpfe, davon 20 Siege und ein Unentschieden, standen für Pianeta zu Buche – vor dem Krebs. Nun der Kampf gegen Mike Middleton. Sieg durch K.o. in Runde eins. Pianeta hat zwei Kämpfe auf einmal gewonnen.

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