Kunst, Wermut, Schwermut

Pollock von Ed Harris

  • Thomas Herget
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Zuerst sehen wir nur eine mit Tinte befleckte Hand, die ungelenk Autogramme schreibt, dann schwenkt die Kamera auf diese unendlich traurigen Augen, die eine Frau am Ende der Ausstellungshalle taxieren. Das wortlose Augenspiel zwischen den beiden Hauptdarstellern während Jackson Pollocks letzter Vernissage ist ein kleiner Höhepunkt des Films, der die Zerrüttung zwischen ihm und der Frau an seiner Seite schon vorwegnimmt. Am Ende von »Pollock«, kurz bevor der Titelheld mit zwei Gespielinnen in den Tod rast, sehen wir diese Anfangssequenz noch einmal unter einem anderen Blickwinkel: Pollocks Freitod war wohl auch so etwas wie eine späte Rache an seiner Kunst, sich selbst und dieser Frau, ohne die es der künstlerische Freigeist wohl nie geschafft hätte, den radikalsten Durchbruch in der amerikanischen Malerei des 20. Jahrhunderts zu markieren. Ed Harris filmische Annäherung an den Kunst-Berserker leuchtet vor allem die ambivalente Beziehung des Künstlerehepaares überzeugend psychologisch aus. Die Malerin Lee Krasner (Marcia Gay Harden) protegiert und managt Pollock bereits, als der als mittelloser Künstler in Greenwich Village Anfang der Vierziger in die Depression abzugleiten beginnt, zerrieben zwischen Alkoholexzessen und der obsessiven Suche nach einer stärkeren künstlerischen Ausdrucksweise. Später glaubt er, ihr seine Seele verkauft zu haben, nennt sie »Straßenhure« und »Judenfotze«. Er will Kinder, sie die eigene Karriere, er verfällt in Agonie, sie verlässt ihn in Richtung Europa. Mag der Erfinder des Action Paintings sein Innenleben auch offenbart haben, indem er Pinsel und Farbe dazu benutzte, abstrakte Konturen auf eine auf dem Boden ausgebreitete Leinwand zu klecksen, im Grunde seines Herzen - so Harris' Bestandsaufnahme nach über zwei Stunden - war dieser Derwisch sicher auch ein Chauvinist und übler Antisemit. Dem Schauspieler Ed Harris gelingt eine durchdringende Darstellung der Figur Pollocks: Kette rauchend, trinkend, Kunst schaffend. Seine Bilder, die entfernt an überbackene Makkaroni erinnern, lassen einen genialistischen Weltreisenden erahnen, tatsächlich war dieser Mann zeitlebens aber wohl nur in seinem Autismus daheim, ein Gefangener in einem kranken Geist. Die Bildsprache ist eindeutig, wenn Harris als Pollock die Wände seines zu klein gewordenen Ateliers mit der Axt einschlägt, nur um später in der weitläufigen Abgeschiedenheit East Hamptons zwischen Wermut und Schwermut vor sich hinzudämmern. Ein nettes, kleines Kammerspiel aus dem Innenleben eines unverstandenen Genies hätte der Streifen werden können, doch der Regisseur Harris hat dem Schauspieler Harris offensichtlich so wenig über den Weg getraut wie seinerzeit Pollock der etablierten Kunstszene. Die heftigen Debatten, die der sich mit seinem Kollegen DeKooning (Val Kilmer) und dem Kunstkritiker Greenberg (Jeffrey Tambor) geliefert haben soll, nivelliert der Film zu weich gezeichneten Saufgelagen im Stil eines Edward Hopper herunter. Pollocks Verhältnis zum gängigen Kunstverständnis eines Picasso liefert dann nur noch den Steilpass zu einem symbolträchtigen Running Gag: Volltrunken uriniert Pollock in den offenen Kamin der Galeristin Peggy Guggenheim (Amy Madigan). Für ein differenzierteres Panorama über eine richtungsweisende Kunstepoche hätte Ed Harris dann eb...

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