Suchen, schweigen, scheinen

Die 20. Tanztage laden fast zwei Wochen lang zum Jubiläum in die Sophiensaele

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Duo Burkhardt & Willens
Das Duo Burkhardt & Willens

Gleich zu Jahresbeginn gibt es etwas zu feiern: Die Tanztage präsentieren ihre 20. Ausgabe. Was ab September 1996 im Pfefferberg zunächst zwei Mal pro Jahr über die Bühne ging und unter Barbara Friedrichs liebevoller Pflege rasch zu einem veritablen Format aufwuchs, siedelte 2001 in die Sophiensaele über. Dort wanderte es in den Januar und eröffnet seither erfolgreich das neue Tanzjahr. Reicher, vielfältiger ist inzwischen die Szene geworden: Konnten die Tanztage der Pfefferberg-Ära vielen der jungen Choreografen den Weg ebnen, ist das heute schwerer. Zu groß ist die auch internationale Konkurrenz der Teilnehmer, zu umfangreich das Programm, als dass jeder Auftritt ein Highlight sein könnte, zu breit ebenso das Feld dessen, was dort sein Podium findet. Kunstproduktion hat indes stets so funktioniert: Jeder braucht seine Chance, viele bleiben Eintagsfliegen. Die wenigen zu finden, denen Tanz und Choreografie eine Existenz bieten, lohnt den Aufwand am Ende wohl doch.

Die Jubiläumsausgabe hat elf Abende mit 15 Beiträgen, darunter neun Uraufführungen, im Angebot. Studiert man die Biografien der Tänzer / Choreografen, gewinnt man gleich mehrere Einsichten. Zum einen sind sehr viele von ihnen internationale »Wanderarbeiter«, die umtriebig von Ort zu Ort, von Projekt zu Projekt ziehen. Das mag lange reizvoll sein, wirft aber die Frage auf, ob der Einzelne so kontinuierlich arbeiten, seine Bestimmung finden kann oder sich auf der notwendigen Hatz nach Geld nicht nur verschleißt. Diese Situation ist schwer zu beheben, etwa durch längerfristige Residenzen. Zum anderen zeigt sich, wie ungebrochen groß der Zuzug nach Berlin ist, in der Hoffnung auf eine fixe Position im neuen Eldorado des zeitgenössischen Tanzes.

Und: Die Absolventen verschiedenster Ausbildungen, ob in Gießen, am Hochschulübergreifenden Zentrum Berlin, in Rotterdam oder New York, nehmen die Stafette auf und stellen sich, je nach ihrer Neigung, mit tänzerischen, performativen, konzeptuellen oder Genre übergreifenden Arbeiten vor. Das birgt beide Chancen – zu gewinnen oder sich gehörig zu überheben. Manche Erläuterungen zu den Stücken lesen sich so endlos lang, wie die Aufführungen hoffentlich nicht sein werden.

Die Eröffnung der Tanztage besorgt ein Doppelprogramm. Hatte der Franzose Clément Layes im Vorjahr mit »Allege«, einem der witzigsten und ungewöhnlichsten Solos, für sich eingenommen, so zeigt er diesmal mit »To allege« eine einstündige Weiterführung seiner Recherchen im fünfköpfigen Kollektiv. Freiheit, Grenze, Absurdität bleiben weiterhin die Themen. Halbstündig schließt sich Uri Turkenichs Duo »material movement« an, das gesprochene Sprache durch Körpereinsatz erweitert.

Für das Jubiläum hat sich Kurator Peter Pleyer ein Coaching Projekt ausgedacht, das fünf junge Choreografen zu mehrwöchigem Austausch von Ideen und Konzepten geladen hat. Ein einleitender Workshop bot erste Reibung. Mit dem Wechsel von alten zu neuen Werten in der Krise befassen sich Diego Agulló & Dmitry Paranyushkin; um Annäherung an die Band Roxette ringen Andrea Jenni & Dominique Richards; Susanne Mayer thematisiert Auf-der-Suche-Sein.

Wo das Außen aufhört, das Innen beginnt, wie man seinen Körper im Raum positioniert, fragen Antje Velsinger & Markus Popp, die Performerin und der Musiker, im Solo »wall/paper/wall«. Einen Abend teilen sich Eva Burghardts Solo »Shut up and love me« sowie Jan Burkhardts & Frank Willens’ »Schweigstück«. Lotet die Bernerin den Prozess des Anfangens aus, der schon weitere Anfänge hinter sich hat, lassen der Hamburger und sein Kollege aus Los Angeles ihre Körper einfach im Tanz kommunizieren. Griechenland, Israel und die Schweiz treffen sich im nächsten Programm. Das Solo »Of High Importance« der Pianistin Elpida Orfanidou untersucht, ob Performen und Komponieren gleichzeitig möglich sind. Wie zwei Tänzer ein gemeinsames Vokabular finden können, eruieren Mor Demer & Sandra Wieser in dem Duo »Based on a true story«.

Den Blick ins Nachbarland gestattet das »Solo Projekt Poznan«: Das erste polnische Residenzprogramm förderte Aleksandra Borys, Anna Nowicka, Rafal Urbacki; in Berlin zeigen sie die entstandenen Solos. Besonders spannend klingen Jacob Peter Kovners Ansatz für »Dead Twink / New Outfit« mit der Frage nach der Selbstakzeptanz beim Älterwerden sowie Naoko Tanakas »Die Scheinwerferin«, die doppelbödig mit vorgetäuschtem und realem Schein, Licht und Schatten spielt. »TAMTAMTAM« heißt der Abschlussabend der 20. Tanztage, denen ehemalige Teilnehmer mit Glückwunsch-Einlagen spontan gratulieren werden.

5.-15. Januar, Sophiensaele, Sophienstr. 18, Mitte, Kartentelefon 28 09 27 93, www.tanztage.de

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