Ringen um Reduktion

Die Kunstwerke zeigen umfassend das Werk des Israelis Absalon

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.
Ausstellungsansicht in den Kunst-Werken
Ausstellungsansicht in den Kunst-Werken

Zwei Exponate scheinen besonders den Zugang zur Person des früh verstorbenen Künstlers zu eröffnen. Im Treppenhaus macht das Video »Bruits«, 1993, laut auf sich aufmerksam: Im Minuten-Loop presst Absalon sein Lungenvolumen zum Dauerschrei, der durchs gesamte Objekt hallt, bis ins 4. Obergeschoss. Ein Stockwerk tiefer steht »Sisyphos«, 1986, eine kleine Plastik, die einzige nicht ganz in Weiß getauchte. In galgenähnlichem Rahmen klettert ein lehmgeformtes Wesen wie ein Chamäleon von Fäden gehalten eine Schräge hinauf. Gehört werden will hier der 1964 im israelischen Aschdod geborene Meir Eshel. Nach dem Militärdienst las jener in einer Holzhütte am Meer Nietzsche und entwarf Schmuck, ehe er 1987 nach Paris übersiedelte und sich nach König Davids aufrührerischem Lieblingssohn Absalon benannte.

Wie der Held der griechischen Sage, Sisyphos, hinterließ er sein Werk unvollendet, als er im »Bruits«-Jahr 1993 starb, vermutlich durch das HIV-Virus. Geblieben ist ein achtbares Oeuvre, das in sechs Jahren besessen das gleiche Thema umkreiste: ein Baukastensystem, das geometrische Grundformen wie Kreis, Quadrat, Rechteck sowie in ihrer Raumgestalt Kugel, Würfel, Quader nutzt, um daraus seine Zellen genannten Wohnkapseln zu fügen. Sechs hat er 1992 entworfen, wollte sie in Paris, Zürich, New York, Tel Aviv, Frankfurt am Main, Tokyo aufstellen und umschichtig darin logieren. Alle stehen sie als Leihgaben aus Museen oder Kopien in der weißen Halle des KW Institute for Contemporary Art in der Auguststraße in Mitte, das auf fünf Etagen Absalons erste umfassende Einzelausstellung seit 1994 präsentiert.

Den Eindruck von Bunkerarchitektur hat, wer durch enge Türen jene an die »weiße Stadt« Tel Aviv sowie an arabisch winklige Wohnkultur erinnernden Gebilde mit ihren abgerundeten Kanten betritt. Winzige Kammern, in denen man sich bewusst bewegen und wenden muss, enthält das Innere, ist klar in Küche, Bad mit Toilette, Wohntrakt, Schlafbereich geschieden, mit der schmalen Matratze auf einer Art Ofenbank, die als Stauraum fungiert. Auf das Äußerste reduziert ist die Einrichtung, verbindet pure Funktionalität und kühle Wohnlichkeit.

Ist »Cellule No. 1« für Paris ein Halbrundbau mit vorgelagertem »Portikus« und einem schnutenartigen Sehschlitz als Verbindung zur Außenwelt, so stellt sich »Cellule No. 6«, der Prototyp für Tokyo, als hochkant stehender Würfel mit Zutritt über eine Stiege dar: Selbst Bücherbord und geräumiger Schreibtisch haben darin Platz, im Stockwerk darunter die Dusche. Schließt man die Tür, wird das Objekt zur uneinnehmbaren Festung: Einzig ein Himmelsguck bietet Sternenblick. Weniger schmeichelhaft fällt »Cellule No. 5« für Frankfurt aus, das höchste der Konstrukte: ein Rundbau in Gestalt eines Wachturms mit Leiter drinnen als Aufgang. Sein Gefühl gegenüber Deutschland drücke sich darin aus, äußerte Absalon.

Alle Zellen bestehen aus Holz, Karton und Stoff, sind geweißt, beleuchtbar durch Neonröhren und mit Wandheizung ausgestattet; alle sind für den Gebrauch bestimmt, sollten Absalon mobil sein lassen und, aufgestellt inmitten der Städte, jeder Isolation vorbeugen – wiewohl sie ihn einsam machen, weil kaum Platz für Besucher bleibt. In jedem Fall sind sie ein Gegenentwurf zum Überkomfort urbanen Wohnens, verweisen auf das Wesentliche im Leben. Selbst wenn es eine Qual wäre, würde er es auf sich nehmen, um zu leben, wie er es wolle, sagte Absalon, sieht sich als Bilderstürmer. Er denke indes nicht daran, die Welt zu ändern, wohl aber sein Leben; das strikte Minimum nur wolle er um sich haben, ein Stadium der Leere.

Die Bauhausarchitektur aus Tel Aviv und die Intentionen der russischen Konstruktivisten, so etwa Malewitsch, mögen ihn inspiriert haben, wie wiederum seine Radikalität die Generation nach ihm beeinflusst hat. Was die Halle im KW als künstlerische Quintessenz zeigt, offerieren die anderen Stockwerke in Miniaturmodell, Formenlager und so bizarrem wie frappierendem Experiment: Das ganze 4. Obergeschoss ist ein Feld aus 40 raumgeometrischen Großbausteinen, durchbohrt, ausgespart, genutet, verfugt. Der Mensch gerät in der »Cellule« zum Kunst-Teil einer Wohn-Skulptur.

Bis 20.2., KW, Auguststr. 69, Mitte, Telefon 243 45 90, Infos unter www.kw-berlin.de

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