Ohne Begriffsklarheit nur Gähnen

Wie halten Sie es mit dem Kommunismus? Fragen an den Philosophen

  • Lesedauer: 5 Min.

ND: Professor Peter Ruben, können Sie die Aufregung um die Kommunismus-Rede von Gesine Lötzsch verstehen?
Ruben: Sehr gut. Wir leben in einer Situation der Restauration des persönlichen Privateigentums an den Produktionsmitteln, die eine Finanzkrise ziemlichen Ausmaßes hervorgebracht hat. Da ist es sehr angemessen, wenn öffentliches Fragen nach »Wegen zum Kommunismus« gemäß der Methode »Haltet den Dieb!« von Liberalen als Bedrohung sogar des Staates denunziert wird. Antikommunismus zu proklamieren, ohne wirklich Kommunisten vor sich zu haben, ist ja gegenwärtige deutsche bürgerliche Ideologie, das gewöhnliche politische Geschäftsgebaren. Eigentlich ist es erheiternd.

Was verstehen Sie unter Kommunismus?
Kommunismus ist diejenige Ordnung menschlicher Gemeinschaften, in der die Produktionsmittel Gemeineigentum sind. »Abschaffung des bürgerlichen Eigentums« oder »Aufhebung des Privateigentums« sind die definierenden Bestimmungen des Kommunismus, wie sie im »Manifest der Kommunistischen Partei« angegeben worden sind. Ich sehe keinen Grund, die Gültigkeit dieser Definition in Frage zu stellen. Freilich sollte jeder wissen: Wer das Wort »Kommunismus« sagt, hat noch keineswegs einen Begriff vom Kommunismus. Und wo dieser in Diskussionen nicht vorausgesetzt wird, kann man endlos schwadronieren, ohne zu einem gemeinsamen Resultat zu kommen. Leider hat Gesine Lötzsch mit dem Gebrauch des Wortes »Kommunismus« nur die »Betonung des Gemeinschaftlichen« verbunden. Sind ihre »Wege zum Kommunismus« Wege zur Betonung des Gemeinschaftlichen? Da kann ich mir sehr viele vorstellen.

Waren Stalinismus und der so genannte Realsozialismus Kommunismus?
Selbstverständlich! Es war Lenin, der im Dezember 1918 den »Sozialismus« als »erste Phase des Kommunismus« – gemäß der Marxschen ‚Kritik des Gothaer Programms’ – bezeichnet hat, also Sozialismus als Kommunismusart verstand. Das hatte natürlich eine lange Tradition, die auf die englischen Owen-Anhänger zurückging; aber für das 20. Jahrhundert ist Lenins Deutung maßgeblich geworden. – Und man erinnere sich daran, daß in der DDR mit Honeckers Führung im Frühjahr 1972 die letzten Reste des persönlichen Privateigentums an Produktionsmitteln beseitigt wurden. Damit war der DDR-Kommunismus perfekt – und alle Parteimitglieder der SED sprachen in ihren Resolutionen nun stets von »Wir Kommunisten des Betriebs XY erklären…«

Ist die Bezeichnung »Kommunistische Partei« Deutschlands oder der Sowjetunion Etikettenschwindel gewesen?
Selbstverständlich nicht! Die nach den Erfahrungen mit der Haltung der Führungen vieler sozialistischer Parteien zum Ersten Weltkrieg angenommene Entscheidung Lenins ist völlig klar: Mit denen, die Kriegskredite bewilligen, also das Hinschlachten von Arbeitern in den Schützengräben finanzieren, gibt es keine Einheit. Die Kriegskreditbewilliger wollen keine soziale Revolution, die doch von der II. Internationale avisiert worden ist und die nun als Ausweg aus dem Irrsinn des Weltkrieges auf der Tagesordnung steht. Lenin wollte keine Verwechslung mit den Kriegskredite bewilligenden »Sozialisten« und forderte daher die Namensänderung seiner Partei im April 1917. Und was diese Partei bis zum März 1921 in Russland betrieb, war klarer roher Kommunismus in Reinkultur (Abschaffung des Geldes, Abschaffung der Mieten, der Warenpreise etc. etc.). Der Widerstand der Bauern und der Aufstand der Matrosen in Kronstadt hat den Übergang in die »Neue Ökonomische Politik« erzwungen, in der konvertible Währung und Markt wieder zugelassen wurden. Dies war die erste Problematisierung des Kommunismus durch Kommunisten. Es wäre nützlich, diese Erfahrung theoretisch zu begreifen, um vernünftig zu erkennen, was es mit der Forderung nach dem Kommunismus auf sich hat.

Überhaupt ist zu sagen, dass diejenigen, die sich »auf den Weg machen« wollen, um die Wege zum Kommunismus auszuprobieren, erst einmal über die Resultate der bereits absolvierten Wege nachdenken und erklären, wieso denn der europäische Kommunismus 1989/91 abgetreten ist (bemerkenswert friedlich und im klaren Bewusstsein, keinen Ausweg aus der selbst erzeugten Lage zu wissen). Jedes Räsonieren über den Kommunismus ohne Reflexion bzw. klare Analyse des dreiviertel Jahrhunderts wirklicher europäischer Kommunismusgeschichte ist ein albernes Glasperlenspiel, das nur Langeweile und Gähnen verbreiten kann. Dazu ist obendrein der asiatische Kommunismus zu denken, der in Gestalt der ökonomischen Potenz Chinas handgreiflich alle unsere herkömmlichen Sozialtheorien fraglich macht.

In den 50er Jahren sind Sie wegen »Fraktionstätigkeit und versöhnlerischen Verhaltens« von der Humboldt-Universität zwangsexmatrikuliert und zur »Bewährung in der Produktion« geschickt worden; in den 80er Jahren erhielten Sie Lehr- und Publikationsverbot unter dem Vorwurf des »Revisionismus«. Was konkret haben Sie sich zu schulden kommen lassen?
Wenn ich es nach so vielen Jahren noch richtig sehe, so bestand mein »Revisionismus« darin, unter »Verteidigung der Interessen der Arbeiterklasse« immer auch die der arbeitenden Personen zu verstehen, die Partei und alle Ämter dagegen nur als Mittel, die Emanzipation der Personen zu betreiben. Das haben Amtsinhaber – Parteisekretäre, Direktoren, Kommandeure etc., etc. – sicher nicht ohne Grund als anarchistische Attitüde verstanden.

Wo oder wie geht's zum Kommunismus? Kurz und knapp bitte
Ohne den Begriff des Kommunismus gibt es keine Antwort auf diese Frage. Unterstellt man, dass der Kommunismus eine Gemeinschaftsordnung ist, dass aber die Menschen nicht nur in Gemeinschaften – Familien, Gemeinden, Vereinen, Nationen – leben, sondern auch in Gesellschaften, also Märkten, besonders im Weltmarkt, in GbRs, GmbHs, AGs, so dass neben der Gemeinschaftsordnung im dualen Gegensatz zu ihr auch immer eine Gesellschaftsordnung besteht – in der kommunistischen DDR machte sie sich in der Zeitung »Wochenpost« u. a bemerkbar in Nachfrage und Angebot von »blauen Kacheln«, wie die westdeutsche DM genannt wurde ... unterstellt man all dies, so versteht sich, dass man den Sozialismus als Gesellschaftsordnung vom Kommunismus als Gemeinschaftsordnung unterscheiden muss. Diese Unterscheidung muss erst noch als Erkenntnisarbeit unternommen werden. Sie ist bereits 1887 von Ferdinand Tönnies begonnen worden – nach Vorarbeit von Lorenz Stein, Carl Rodbertus, Karl Marx, um nur einige zu nennen, ohne deren Werke wir gar arm dastünden.

Fragen: Karlen Vesper

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