Ströme der Trauer

Bilder voller Wehmut zeigt das Theater unterm Dach mit »Toter Tag«

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

»Ich bin einfach nur ... müde«, spricht die junge Frau, bevor das Licht erlöscht – das Scheinwerferlicht und symbolisch ihr Lebenslicht. Endlose Sekunden dauert es, bis starker Applaus einsetzt, und danach stehen die Premierengäste erst einmal stumm auf dem Balkon vom Theater unterm Dach, mit Zigaretten oder ohne. Es dauert, bis man den Kloß im Hals hinuntergeschluckt hat: So tief ans Wesen der Dinge rührend, so unendlich traurig und gleichzeitig melancholisch-schön ist Susanne Truckenbrodts neue Inszenierung »Toter Tag« um den Selbstmord eines jungen Mädchens.

In poetischen Bildern, getragen von hypnotischem E-Gitarrenblues (Musik: Markus Götze), überträgt die Regisseurin Motive aus Matthias Claudius’ Gedicht »Der Tod und das Mädchen« in die heutige Zeit. »1000 Schuhe – Todesvariationen« sollte das Stück ursprünglich heißen, und angesichts der krassen Spielchen, die der schick gekleidete Tod mit der kindlich-kicherigen und durchaus zugänglichen Heranwachsenden treibt, hätte auch dieser Titel gepasst. Übrig geblieben sind davon jedoch nur die vielen Schuhe, die im Foyer des Theaters liegen wie abgestreift.

»Kommst Du wieder? Es ist so langweilig ohne Dich!«, fragt das Mädchen den Fremden, den sie schon immer zu kennen meint. Doch geht es Truckenbrodt nicht nur um die Gründe, die jemanden dazu bewegen, eher gehen zu wollen, als vorgesehen zu sein scheint. Zurückgeworfen auf sich selbst bleiben die Eltern – ein mittlerweile getrennt lebendes, an den Kämpfen des Lebens müde gewordenes Paar, das nun erkennt, wie weit es von den einst hoffnungsfroh gesteckten Zielen entfernt ist.

In einzelnen Szenen, in der Zeit vor- und zurückspringend, erzählt »Toter Tag« von Sehnsucht, Angst, der Unfassbarkeit des Todes und Strömen der Trauer, die durch das Leben fließen, von Überdruss und Müdigkeit. Wenige Sätze werden von den sechs Schauspielern immer wieder variiert, doch klingen sie völlig anders, je nachdem, wer sie zu wem sagt. Da ist das ältere Paar, das am Freitod der Tochter zu zerbrechen droht. Da ist die Erinnerung an sich selbst als junges Paar, dessen Optimismus gezwungen und falsch klingt. »Hab’ keine Angst. Ich passe auf Dich auf. Ich bin für Dich da, immer!«, sagt er zu ihr – und klingt doch so, als spräche er nur sich selbst Trost zu.

Später flüstert die junge Mutter ihrer neu geborenen Tochter die selben Worte ins Ohr. Deren Kindheit wird auf wenige Momente verdichtet, mit dem immer gleichen, mal ängstlich, mal vorwurfsvollen Memento »Immer sagst Du, Du kommst – und dann kommst Du nicht!«

»Installative Wort-Tanz-Performance« nennt sich die Inszenierung in der Ankündigung. Tatsächlich findet die ehemalige Chefin des Orphtheaters starke, wuchtige Bilder für die Annäherung an das Unfassbare: Dialoge gehen unter in dröhnenden E-Gitarren-Klängen, aus einer zärtlichen Umarmung wird ein albtraumartiger Zeitlupen-Ringkampf auf der von Pascale Arndtz karg ausgestatteten Bühne. Irgendwann hat sich vor die zwei Fenster und die weiße Tapete mit dem verblassten Familienfoto eine massive schwarze Wand geschoben. Ansonsten ändern sich nur Licht und Personal.

Antje Görner und Uwe Schmieder, beides Orphtheater-Mimen, spielen in bleichem Rosa und Beige das ältere Paar, Sabine Gabris und Joachim Kühne in denselben Nicht-Farben ihre jüngeren Alter Egos. Selbst der Tod (Marcus Staab Poncet), eher Sehnsuchtsobjekt der Enttäuschten als Verführer, wirkt seltsam müde, eher zärtlich als brutal. Lebendig erstrahlt allein Nicole Janze, deren Flirt mit dem Tod intensiver ist als alles sonst; wunderschön die Szene, in der der Tod ihr mit Händen und Füßen eine Brücke baut, über die sie balanciert – und dann doch noch einmal wegläuft, bevor sie endgültig kommt. Oder geht, je nach Perspektive.

Zurück bleiben Mutter und Vater – die eine voll unstillbarer Sehnsucht, der andere voll Wut. »Hol mich, ich will nicht mehr«, schreit, ja spuckt Schmieder seinen unbändigen Hass, seinen Lebensüberdruss hinaus. »Und mach’s kurz, Du Vogel!« Ja, auch solche Momente der Heiterkeit hält das Stück bereit, zum Beispiel wenn Poncet seine Rolle als Tod reflektiert – und was ihm dazu alles einfiel. So kann, so sollte Theater sein!

13. und 14. Januar, 5. und 6. sowie 10. und 11. Februar, 20 Uhr; Theater unterm Dach, Danziger Str. 101, Prenzlauer Berg, Telefon 030 902 95 38 17

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