Der Wolf ist tot, der Wolf ...

Eine Uhr-Aufführung mit Überfall in der Märchenhütte

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Kleinbürger und die Angst
Die Kleinbürger und die Angst

Man kann pfeifen im dunklen Wald. Da wird die Furcht klein. Man kann auch seine Angst wegreden. Jedenfalls kann man es versuchen. Wie das Menschenpaar, das Regisseur Jan Zimmermann in seiner Inszenierung »Der Wolf und die sieben Geißlein« in eine große Standuhr verfrachtet hat. Die schlimmsten Befürchtungen hocken mit drin.

»Der Wolf ist tot« proklamiert der Mann wieder und wieder – bis er es selber glaubt. Dem stets als Bösewicht vom Dienst herhaltenden Meister Isegrim sei längst der Garaus gemacht, steigert sich die Frau in die Aufzählung vieler Märchen und langt beim Beispiel der Geschichte mit den sieben Geißlein an. Die Luft ist rein. Da kann man aus dem Uhrkasten klettern und ja mal schnell erzählen.

Also, das war einmal, als die alte Geiß nach der Ermahnung ihrer Kinder und kurzem Meckern zu Besorgungen aufbricht und wie sich letztlich herausstellt dann wieder neue Schuhe kauft, weil sie nicht widerstehen konnte. Das liegt in der Natur. Indes hat der Wolf davon Wind bekommen und schleicht sich zu blutiger Tat heran.

Bekanntermaßen muss er mehrmals anklopfen, bevor sein Vorhaben gelingt. Die Geißlein fallen schließlich nicht auf das erstbeste Täuschungsmanöver herein. Sie haben ja ihre Anweisungen.

Im Grimmschen Ur-Werk, das Zimmermann in seiner Uhr-Aufführung umsetzt, geht der Wolf zum Bäcker und zum Müller, um sich für den Überfall zu präparieren. Die beiden Figuren fasst der Regisseur zu einem Mann zusammen, der sehr wohl weiß, dass der Wolf Finsteres im Sinn haben muss. Aber der Mann willigt ein, dem Wolf zu geben, was er will, um die eigene Haut zu retten. »Ja, das sind die Menschen«, steht im Urtext.

Zu dieser Aussage können sich Wanda Colombina und Matthias Horn noch intensiver heranarbeiten. Denn die reizte den Regisseur wohl besonders. Seine zwei ängstlichen Kleinbürger kommen nicht in die Gelegenheit. Aber sie würden – lässt sich erahnen – ganz sicher ihre Nachbarn fressen lassen, um sich in Sicherheit zu wissen. Dabei spielt der Mann zu Hause auch gern mal den bösen Wolf. Ach, wie gefährlich will der kleine Spießer seinem Weib erscheinen, wenn er seine Gier nach ihrem Fleisch rauslässt. Geradezu grimminell fühlt er sich dann. Und wie sie sich in diesem geliebten Spiel so herrlich fürchten kann, wenn er die Zähne fletscht.

Da erschauert Wanda Colombina wohlig in der Aufführung, wenn Matthias Horn sie wie ein Wolf mit seinen Krallen berührt. Schaurig schön, das liegt in der Natur. Wieder und wieder zwängen sich die beiden Schauspieler im Verlauf des Märchens durch die Standuhr, die als Bühnenbild geborstene Haustür wie Zugang zum Schutzraum ist. Zufrieden kuscheln sie sich am Ende auch wieder hinein in ihre Enge. Der Wolf ist ja tot. Das Zifferblatt haben sie nicht zur Kenntnis genommen. Fünf nach Zwölf. Da pocht es bedrohlich laut. Die Angst ist wieder da. Der Wolf ist doch tot? Der Wolf ist...

Das mit viel Hintersinn inszenierte Stück ist nach den »Bremer Stadtmusikanten« als zweite Premiere dieses Winters nun in der Märchenhütte im Monbijoupark auf dem Spielplan, der 22 Grimmsche Stoffe bietet. Zu sehen sind die jeweils halbstündigen und unterschiedlich für Kinder und Erwachsene bis hin zu Gruselfassungen dargebotenen Märchen jeweils im Zweierpack. Davon haben schon viele Leute Wind bekommen. Alle Vorstellungen im Dezember waren ausverkauft. Auch im Januar wird es nicht leicht, auf Anhieb Karten zu erbeuten. Da muss man vielleicht zwei oder drei Mal anklopfen.

Märchenhütte, Monbijoupark, Monbijoustr. 1, Mitte, für Erwachsene Di.-So. 19.30, 21 Uhr, Fr., Sa. auch 22.30 Uhr (Karten 8-12 Euro); für Kinder ab 4 Jahren: Mi.-Fr. 10, Fr. 16.30, Sa., So. 14, 15.30, 17 Uhr, Infos unter Tel.: 288 86 69 99, www.maerchenhuette.de

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