Zwischen Hysterie und Verharmlosung

  • Franz-Josef Möllenberg
  • Lesedauer: 3 Min.
Der 57-jährige Chef der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten ist Vizepräsident der International Union of Food.
Der 57-jährige Chef der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten ist Vizepräsident der International Union of Food.

Der jüngste Dioxinskandal mit allen negativen Begleiterscheinungen – Missbrauch des Verbrauchervertrauens, Gefährdung der Gesundheit, Verhinderung von Exportchancen, einer Bundesregierung, die nur noch schwimmt und nicht weiß, was sie tut – offenbart wieder einmal die grundsätzlichen Probleme, die auch zehn Jahre nach den ersten BSE-Fällen in Deutschland nicht zu einer tatsächlichen Wende geführt haben. Die Forderungen der Gewerkschaft NGG waren schon vor 20 Jahren: Kein Manschen und Panschen! Lebensmittel sind ein so wichtiges Gut, damit »experimentiert« man nicht.

Vor zehn Jahren haben wir, vor dem Hintergrund der ersten BSE-Fälle, sehr klar und deutlich gesagt: Wir brauchen Transparenz vom Acker/vom Stall bis in die Ladentheke/auf den Tisch. Es ist viel Gutes initiiert worden, aber es offenbaren sich offensichtlich spätestens dann Lücken, wenn man es mit krimineller Energie zu tun hat. Sei es beim Thema Gammelfleisch oder jetzt beim jüngsten Dioxinskandal – neben freiwilligen Kontrollsystemen der Wirtschaft brauchen wir staatliche Kontrollen. Denn es gilt nach wie vor: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Darüber hinaus wäre das Wirkungsvollste ein Informantenschutz. Auch der Dioxinskandal ist ebenso wie der letzte Gammelfleischskandal in Bayern nicht durch staatliche Kontrollen entdeckt worden, sondern durch Eigenkontrollen beziehungsweise einen Lastkraftwagenfahrer.

Unsere Gewerkschaft NGG fordert einen Informantenschutz, der relativ einfach ist. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die gezwungen sind, illegale Praktiken an den Tag zu bringen, sollen sich ohne Existenzangst an Aufsichtsbehören wenden können. Die heutige Praxis sieht vor, dass der Tippgeber nicht anonymisiert wird, er also spätestens bei Akteneinsicht durch den beschuldigten Arbeitgeber »entlarvt« wird und ihm damit die Rote Karte droht. Wir wollen, dass der Informant geschützt wird und dass, wenn ein Arbeitgeber einem Informanten kündigt, Letzterer 18 Monate lang weiterhin sein volles Gehalt bezieht. Damit würde die Hürde erheblich heraufgesetzt, dem Staat kein Cent Kosten entstehen, und es würde ein wirksamer Beitrag zum Verbraucherschutz geleistet. Damit es keine Missverständnisse gibt: Wir wollen keine Förderung des Denunziantentums, aber wir halten eine solche Maßnahme (in Großbritannien kennt man sie seit Jahren unter dem Begriff »whistleblower«) für unumgänglich. Dankenswerter Weise hat die SPD unsere Forderung aufgegriffen und unterstützt diese nachdrücklich. Darüber hinaus gehört zur Transparenz auch, dass mit Herstellungsnachweisen in der gesamten Wirtschaftskette gearbeitet wird. Es reicht nicht, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung unter der Überschrift »Klarheit und Wahrheit« nur verkündet, sondern sie muss endlich Ziele formulieren und dann auch umsetzen.

Lebensmittel bedürfen einer größeren Wertschätzung in unserer Gesellschaft. Neben Transparenz und Kontrolle muss ein neues Werteverständnis entwickelt werden. Massentier