»Seid Rebellen – bleibt rebellisch!«

Der ehemalige KZ-Häftling Roger Bordage im Abgeordnetenhaus / Abschluss des Jugendforums denk!mal zum Holocaust

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: 3 Min.
Roger Bordage beim Jugendforum.
Roger Bordage beim Jugendforum.

Als 17-Jähriger schloss sich der Franzose Roger Bordage mit zwei Freunden dem Widerstand an, sie flohen aus dem von den Faschisten besetzten Frankreich ins benachbarte Spanien. Dort wollten sich die drei den »Forces Francaises Libres«, den Freien Französischen Streitkräften, anschließen. Doch nach Überquerung der Pyrenäen wurden die drei im März 1943 vom Sicherheitsdienst (SD) der SS verhaftet. Bordage kam ins Konzentrationslager Sachsenhausen und wurde am 3. Mai 1945 auf dem Todesmarsch nach Schwerin zwischen Parchim und Crivitz von der Roten Armee befreit. Er wog noch 35 Kilo. Am Montagabend berichtete der 1925 in Paris geborene Bordage vor Schülerinnen und Schülern im Berliner Abgeordnetenhaus von seinen Erlebnissen.

Zum achten Mal waren Jugendliche ins Abgeordnetenhaus eingeladen, mit eigenen Projekten unter dem Motto »denk!mal« an den Holocaust zu erinnern. Das Thema in diesem Jahr: »Weil Menschen Spuren hinterlassen ...«

Mit teilweise minimalistischen Mitteln hielten die 47 Jugendgruppen in szenischen Darbietungen die Erinnerung an die Gräueltaten wach und setzten sich für Toleranz ein. Mit dem Kinderspiel »Ich packe meinen Koffer« schilderten Mädchen und Jungen aus der 6. Klasse der Finow-Grundschule in Schöneberg eigene Diskriminierungserfahrungen.

Bei ihren Recherchen waren die Schüler auf den Koffer des jüdischen Mitbürgers Ludwig Bermann gestoßen, der dessen wenige Habseligkeiten enthielt, die ihm auf dem Weg in die Deportation geblieben waren. Nun legten die Jugendlichen symbolisch Gedanken und Emotionen in das Gepäckstück: Ich fülle meinen Koffer mit Gerechtigkeit, Rücksicht und Mut, sich für andere einzusetzen, mit Engagement und Kraft, um den Koffer zu tragen.

Jeder kann den Teufelskreis von Intoleranz und Gewalt durchbrechen – dieser Überzeugung sind die Jugendlichen des Hermann-Hesse-Gymnasiums in Kreuzberg. Mit Masken vor den Gesichtern tanzten Schülerinnen und Schüler der 7. Klasse gegen Ausgrenzung und Diskriminierung an. Eine szenische Lesung zur Biografie der Berliner Familie Jacobi als Ergebnis eigener Recherchen präsentierte die Jugendgeschichtswerkstatt Spandau gemeinsam mit Schülern der Karl-Friedrich-von-Siemens-Oberschule. In Siemensstadt wurden Stolpersteine für Erna und Max Jacobi gesetzt. 1943 wurde das Ehepaar nach Theresienstadt deportiert und umgebracht.

Nachhaltig die Worte des ehemaligen KZ-Häftlings Roger Bordage, heute Vorsitzender des Internationalen Sachsenhausen-Komitees und in der französischen Häftlingsvereinigung Amicale engagiert. »Es ist schwierig, den Alltag im Konzentrationslager zu beschreiben«, meinte Bordage, der später bei der UNESCO arbeitete. »Das ganze Trachten der SS war, die Menschen zu dehumanisieren und gleichzuschalten. Die Köpfe kahl geschoren, mussten wir oft stundenlang nackt Appelle über uns ergehen lassen. Dazu die Prügel der Funktionshäftlinge, der Kapos«, erzählt er weiter. »Der einzige Weg nach draußen führte durch den Schornstein. Ich hatte das Glück, zu überleben.« Deshalb appellierte Roger Bordage an die Schülerinnen und Schüler: »Vergesst nie, Berichte zu hinterfragen, seid kritisch. Seid Rebellen – bleibt rebellisch!«

Die Finow-Grundschule zeigte in ihrem Stück »Ich packe meinen Koffer« eigene Diskriminierungserfahrungen.
Die Finow-Grundschule zeigte in ihrem Stück »Ich packe meinen Koffer« eigene Diskriminierungserfahrungen.
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