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Viele Fragen zum Tod der kleinen Lilly

Eberswaldes Bürgermeister spricht im Stadtparlament zu dem Unglück bei einem Kita-Spaziergang

Zwei Mal besuchte Carsten Zinn die Eberswalder Kita »Villa Kunterbunt« bei einem Tag der offenen Tür. Was er dort sah, das begeisterte den Stadtverordneten der Linkspartei. Er traf eine Leiterin mit Ideen, gute Mitarbeiter und engagierte Eltern. »Hier möchte ich Kind sein«, dachte Zinn. Aber dann ...

Am 8. Dezember rutschten die Mädchen Lilly und Liz in einen Teich mit eiskaltem Wasser. Sie hatten sich bei einem Spaziergang von ihrer Gruppe entfernt. Liz konnte sich am Ufer festklammern und kam mit einer schweren Erkältung davon. Doch die zweijährige Lilly starb am 17. Dezember im Berliner Virchow-Klinikum. Heute Abend möchte Bürgermeister Friedhelm Boginski (FDP) den Stadtverordneten detailliert über den Fall Lilly berichten, bestätigte seine Sprecherin Britta Stöwe. Einzelheiten verriet sie nicht. Da müsse man abwarten. Das Parlament tagt ab 18 Uhr im Familiengarten. Die Klärung der Schuldfrage wird noch eine Weile dauern.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen eine Erzieherin wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung. Dabei geht es um die Frage, ob die Frau ihre Aufsichtspflicht verletzt hat. Bislang habe sich die Erzieherin nicht geäußert, sagte Oberstaatsanwalt Thomas Meyer gestern. Wann die Ermittlungen abgeschlossen werden, konnte er nicht vorhersagen. »Ich gehe nicht davon aus, dass es noch viele Monate dauert.« Aber es wäre Spekulation, wenn er ein Datum nennen würde, machte Meyer deutlich.

Einen Tag nach dem Unfall hatte die Stadt erklärt, die Anzahl der Betreuer bei dem Spaziergang habe nach bisheriger Erkenntnis den gesetzlichen Vorschriften entsprochen. Genau daran jedoch zweifeln in Eberswalde viele Menschen. Fakt ist, dass 26 Knirpse von zwei Erzieherinnen, zwei Praktikanten und einer Hilfskraft begleitet wurden.

Die Eltern Antje und Torsten Regulin, die zwei Kinder in die »Villa Kunterbunt« schicken, schrieben einen offenen Brief an den Bürgermeister. In dem Brief fragen sie zum Beispiel, warum eine Erzieherin 13 Krippenkinder beaufsichtigen müsse, wenn der Betreuungsschlüssel ein Verhältnis von 1 zu 6 verlangt.

1 zu 6 bedeute nicht, dass die Gruppen nur aus sechs Kindern bestehen, erläutert die Landtagsabgeordnete Gerrit Große (LINKE). Es heiße lediglich, wie viele Erzieher pro Kind in einer Krippe beschäftigt sein müssen. Einkalkuliert seien Früh- und Spätschichten sowie die Abwesenheit von Erziehern wegen Urlaubs, Krankheit oder Fortbildung. Tatsächlich liege die Gruppengröße bei den unter Dreijährigen in Brandenburg derzeit bei etwa zwölf Kindern.

Die rot-rote Koalition hat gerade erst einen Fortschritt erreicht. 900 zusätzliche Stellen wurden in den vergangenen Monaten besetzt, um den Betreuungsschlüssel zu verbessern. Er lag früher bei 1 zu 7. Damit belegte Brandenburg im Bundesvergleich den letzten Platz. Jetzt lässt es wenigstens zwei andere Länder hinter sich. Bundesdurchschnitt sind 1 zu 5,8.

»Bitte haben Sie Verständnis, mehr können wir uns nicht leisten«, mussten sich die Regulins anhören. »Ist das nicht zu einfach«, sich hinter den zu erwartenden Kosten zu verstecken, wenn man über Verbesserungen nachdenkt, fragen sie den Bürgermeister. »Lässt sich wirklich nichts verbessern?« Die Regulins verfassten den offenen Brief unter dem Eindruck einer Elternversammlung in der »Villa Kunterbunt«. Sie waren nach eigener Darstellung enttäuscht, dass der Erste Beigeordnete und die Jugendamtsleiterin dort »ohne neue konzeptionelle Ansätze oder neue Ideen antraten«. Die Stadtverwaltung habe leider keinerlei Gestaltungsspielraum gesehen, die etwas mehr möglich mache als das vom Land gesetzlich Vorgegebene.

Der Stadtverordnete Zinn will wissen, welche Schlussfolgerungen Eberswalde aus dem tragischen Unglück im Ortsteil Finow gezogen hat. Ihm ist »blinder Aktionismus« aufgefallen. Wie wird in den zehn städtischen Kitas die notwendige Betreuung beispielsweise bei Urlaub oder Krankheitsfällen gewährleistet, möchte Carsten Zinn erfahren. Welchen rechtlichen Status haben in den Kindergärten beschäftigte Praktikanten und Ein-Euro-Jobber?

Dass Liz weiter in die alte Kita gehe, zeige, dass die »Villa Kunterbunt« das Vertrauen der Eltern genieße, meint Zinn. Er weiß aber auch, dass Erzieherinnen in den städtischen Kitas verunsichert sind. Verärgert hat den Kommunalpolitiker, dass die Sitzung des Bildungsausschusses am 12. Januar abgesagt wurde. Der Ausschussvorsitzende Martin Hoeck (FDP) habe dies mit dem Fehlen von Beschlussvorlagen gerechtfertigt. Dabei findet Zinn, es wäre doch dringend notwendig gewesen, sich mit den Ursachen von Lillys Tod und mit den Lehren daraus zu beschäftigen.

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