Diese Strategie wird Feministinnen erfreuen

ICH HAB'S EINFACH MAL PROBIERT: »Jetan Sarang« – wie sich der Bildhauer James Spratt Schach auf dem Mars vorstellt

  • René Gralla
  • Lesedauer: 3 Min.
Marsgesicht: natur- oder zivilisationsgemacht? Fotos: AFP; www.erbzine.com
Marsgesicht: natur- oder zivilisationsgemacht? Fotos: AFP; www.erbzine.com

Seltsame Formationen wachsen aus der Ebene, sie erinnern an die Pyramiden von Gizeh. Dazwischen eine Struktur, die anmutet wie ein gigantisches Gesicht, das nach oben schaut: gelassen und mit einem leicht verächtlichen Zug um den Mund. Eine ferne Verwandte der Sphinx?

Fantasiebegabte Zeitgenossen hatten sofort zu spekulieren begonnen, als die Raumsonde Viking I vor bald 35 Jahren verblüffende Bilder vom Mars zur Erde funkte. Die Aufnahmen aus der Region Cydonia, die am 25. Juli 1976 entstanden sind, ließen frühere Hypothesen, der Rote Planet sei dereinst von intelligenten Wesen besiedelt worden, plötzlich wieder fast plausibel erscheinen. Eine Vorstellung, die lange zuvor bereits den Schriftsteller Edgar Rice Burroughs (1875-1950) inspirierte, eine Serie von Abenteuernovellen über eine fiktive Hochkultur weit draußen im Sonnensystem zu publizieren. In elf Folgen entwarf der US-amerikanische Autor ein detailverliebtes Panorama vom Mars, auf dem Stadtstaaten um schwindende Wasservorkommen konkurrieren. Zur Ablenkung der Massen kreieren die Mächtigen einen Unterhaltungssport, der eine Mischung aus Megaschach und Gladiatorenkämpfen ist; in Band 5 der Marsstorys findet sich sogar ein Regelwerk dieses »Jetans«.

Besagtes »Jetan« ist seitdem ein Dauerthema in den einschlägigen Foren. Wie bewegen sich »Jeddak«, der König, und »Jeddara«, seine Begleiterin, plus Gefolge aus »Fliegern« oder »Thoats« (die Pendants zum irdischem Schachpferd), in der 10 x 10-Felder-Arena? Was hat der Erfinder dazu gesagt? Und was hat er gemeint?

Höchst hinderlich in diesem Zusammenhang: Lange gab es keine Möglichkeit, »Jetan« in der Praxis zu testen. Zum einen schied die Gladiatorenvariante live im Großmaßstab selbstverständlich aus. Zum anderen fehlte bisher auch eine verkleinerte Brettversion. Diese Lücke hat nun ein Bildhauer namens James Killian Spratt aus Hendersonville, US-Staat North Carolina, geschlossen. In seinem Atelier hat das imaginäre Marsschach greifbar Gestalt angenommen, als vielköpfige Versammlung von Amazonen und Bodyguards. Und weil er schon mal im Schaffensdrang gewesen ist, hat der 60-Jährige die ursprüngliche »Jetan»-Truppe erweitert, und zwar vorwiegend um Frauenfiguren, er finde diese Miniaturen »schön und einen Genuss, sie anzusehen«, sagt Spratt dem ND.

Die weibliche Komponente prägt den Spielverlauf im abgewandelten »Jetan Sarang« des James Killian Spratt. Die Königin und ihre Prinzessinnen müssen vor Gefangennahme geschützt werden, sonst ist die Partie verloren, eine deutliche Akzentverschiebung gegenüber dem machohaften Basis-»Jetan«. Feministinnen wird das gefallen.

Warum der Künstler Spratt ausgerechnet das Science-Fiction-Thema »Marsschach« gewählt hat? »Wir können nicht nur arbeiten, wir müssen auch spielen, sonst werden wir stumpfsinnig«, sagt er. Deswegen glaubt er, dass Außerirdische auf dem Mars, sofern es die tatsächlich gegeben hätte, bestimmt auch eine Art von Schach spielten. Vielleicht nicht original sein »Jetan Sarang« oder das »Jetan« von Burroughs, aber etwas Vergleichbares. »Vielleicht gab es ja so eine Zivilisation tatsächlich«, sinniert Spratt. »Das Universum ist uralt, der Mars ist weit weg, unser Leben misst bloß Augenblicke. Wie wollen wir wissen, was es vor uns gegeben hat?«

Diese Sicht schien das 1976 entdeckte ominöse »Marsgesicht« plus »Pyramiden«-Ensemble zu stützen – wenigstens drei Jahrzehnte lang. Bis der Mars Express der ESA neue Aufnahmen in 3D geliefert hat, die das angebliche Mysterium als verwitterte Bergkegel entlarvt haben. Ein ernüchternder Befund, der den Visionär Spratt allerdings nicht anficht: »Fotos sind kein Gegenbeweis. Man muss schon selber hinfliegen und graben, um zu wissen, was die Wahrheit ist.«

Zukünftige Archäologen müssen sich freilich gedulden; die erste bemannte Marsmission steht buchstäblich in den Sternen. Immerhin kann die Wartezeit stilgerecht verkürzt werden: mit einer Matchserie »Jetan Sarang«. 72 Figuren auf aktuell 144 Feldern garantieren, dass eine Partie nicht zu schnell entschieden wird.

Weitere Informationen: www.SprattArt.com; »Jetan Sarang« online spielen: play.chessvariants.org/pbm/presets/sarang_jetan.html

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