Lob des Sisyphos

Am Sonntag 80: der Dichter Heinz Kahlau

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Wer Sisyphos lobt, ist dem Glück sehr nahe: der wunderbaren Erkenntnis, dass es dieses Glück als feste Burg nicht gibt, nicht das endgültig erreichbare Ziel, nicht die bestmögliche Welt, die gesichert sanftmütige Gesellschaft.

Zu DDR-Zeiten las sich Heinz Kahlau anders, die gleichen Verse, und doch der ganz andere Konsens, den man mitbrachte und in die Lektüre hineinwirkte. »Lob des Sisyphos« hieß einer seiner zahlreichen Gedichtbände, und man kann das drehen, wie man will: Wer Sisyphos lebt, ist bei Camus, selbst wenn man den nie gelesen hätte, als man Kahlau las. So können Gedichte aus einer Zeit in die nächste kommen und plötzlich eine vorher so direkt gar nicht geahnte Weisheit, Schlauheit, Vertracktheit haben.

Kahlau las mancher vielleicht als poetischen Verstärker von Gewissheiten oder als Hymniker einer ausgreifenden Lust am Aufbauenden – der Liebe, des Staates, der Ethik des Freundlichen. Plötzlich diese Zeilen: »Es gibt kein Paradies/ Nach diesem Jammertal./ Kein Jüngstes Gericht/ Findet statt:/ Gott ist nicht da.// Gott ist nicht da?/ Kein Jüngstes Gericht/ Findet statt?/ Es gibt kein Paradies/ Nach diesem Jammertal?« Zweiflerischer geht es nicht, nicht entschiedener gegen Standpunktfestigkeit, nicht absagender an den vermeintlich möglichen Weltüberblick, wenn man nur die richtige Weltanschauung habe. Du liest so ein Gedicht und sagst nicht, ach, ein neuer Ton, sondern blickst jetzt auch auf all die vielen Gedichte von früher mit dem Geständnis, da vielleicht etwas übersehen zu haben, inmitten des Klaren, Vorwärtsdrängenden.

Er schrieb Lyrik (»Fluß der Dinge«, »Flugbrett für Engel«, »Du«, Stücke, Dreh- und Kinderbücher. 1931 als Arbeitersohn geboren, war er nach dem Krieg Brechts Meisterschüler, am BE gemeinsam mit Heiner Müller. Die Brecht-Schulung: dialektischer Witz, Erkennenswille, und diese Nähe schuf den dunklen Skeptiker (Müller) wie auch den hellen Aufklärer (Kahlau), für beides gab der Meister Stoff her.

Das Altertum Frühsozialismus starb an sich selbst, viele Menschen sind aus den Idealen zurückgekehrt ins nun etwas farblose, aber ungeschminkt freie Leben. Heinz Kahlau (der 1990 seine IM-Tätigkeit öffentlich machte), hat auch nach diesem Ende keine Gedichte geschrieben, die einem das Gemüt in den Staub stoßen. Er ist ein poetischer Helfer, geraden Blicks. Und ist gerade deshalb weiter zu entdecken, als Innehaltender, mit Fragen, die dem Menschen erst in der heilsamen Müdigkeit kommen.

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