Brotfabrik

»Nummer 6« erinnert sich

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Seine Kindheit werde man nie los, sagt Fanny. Man wird für sein Leben geprägt. Dennoch muss man seine Rechnung mit den Eltern irgendwann abschließen, weil man inzwischen selbst für sein Leben verantwortlich ist. Zumeist geschieht das im Alter um die 30, dass man einschätzen kann, warum die Eltern in verschiedensten Situationen so oder so handelten. Auf Grund eigener Lebenserfahrung kann man sich inzwischen sein Urteil darüber bilden. Es sei denn, man will alles, was jetzt im Leben nicht klappt, seinen Eltern anlasten und die Verantwortung für sich selbst nicht auf sich nehmen.

In »Nummer sechs«, einem Theaterstück, das nach dem zweiten Roman der 1962 geborenen französischen Autorin Véronique Olmi entstand, ist die Verarbeitung der Kindheit noch im Prozess. Fanny, das sechste Kind, erinnert sich. Da gibt es Verständnis wie Unverständnis für die Handlungen der Eltern, aber kaum Zorn. Vielmehr heischt Fanny immer noch nach der Liebe ihres Vaters, der sie kaum beachtete, als sie klein war. Nun ist er alt. Sie kümmert sich um ihn, was den Geschwistern nur Recht ist. Sie nimmt wahr, dass er, dem Tode nahe, immer schwächer wird. Aber sie hat ihn für sich – endlich.

Die Schauspielerinnen Anne Noack und Anika Lehmann haben sich das Stück erarbeitet und brachten es in der Brotfabrik an der Weißenseer Spitze zur Premiere. Sie zeigten es zunächst einmal an zwei Abenden. Es ist gut konzipiert und wird mit einfachen Mitteln auch sprachlich gut umgesetzt. Ehrlich sind das Konzept und das Spiel. Allerdings wird es bühnentechnisch unprofessionell ins Licht gesetzt. Das schadet.

Beide Frauen spielen abwechselnd Fanny in ihrem Monolog. Manchmal bewegen sie sich synchron. Zumeist aber kleidet die eine in Bewegung, was die andere gerade erzählt. Sich darauf einzustellen, dauert einen Moment. Doch die Sache geht auf.

Die Brotfabrik-Bühne macht sich verdient bei der Förderung junger Künstler. So eine Möglichkeit, schauspielerisch und tänzerisch Neues auszuprobieren, gibt es kaum noch in der Stadt. Nur das Acud-Theater in Mitte arbeitet auch nach einem solchen Konzept.

In Weißensee quittierten die Besucher die dadurch entstandene Vielfalt des Spielplans von 101 Produktionen der gastierenden 74 freien Gruppen mit Zuspruch. Im Vergleich zu 2008 stieg die Zuschauerzahl am Caligariplatz 2010 um gut 85 Prozent. Das hängt auch mit dem verdienstvollen Kinderprogramm zusammen, das im vergangenen Jahr 40 Prozent der 6428 Besucher anlockte. Es gab 26 Uraufführungen und Premieren, dazu 17 Berlin-Premieren.

2010 brachte für die Brotfabrikbühne die seit 11 Jahren besten Besucherzahlen. Dabei hatte das Jahr durchaus seine Tücken, sagt Theaterchef Nils Foerster. Erst kam der ungewohnt harte Winter mit reichlich Glatteis, was die Leute abends vorm Pantoffelkino zu Hause bleiben ließ. Im Frühjahr fing der Vulkan Eyjafjallajökull in Island an zu rauchen – Gastspiele fielen aus, Gruppen von weiter her konnten wegen der »Wolke« nicht anreisen. Als sich dann der Qualm endlich verzogen hatte, begann die Fußball-Weltmeisterschaft.

Brotfabrik-Bühne, Caligariplatz 1, Weißensee, Tel.: 471 40 01, www.brotfabrik-berlin.de. Vom 10.-13.2., 20.15 Uhr: »Psycho«, Kindertheater am 13.2., 11 und 16 Uhr, am 14.2., 10 Uhr: »Anna und die Wut«

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