Böses Blut hinterm Deich

»Der Schimmelreiter« an der Parkaue in Koproduktion mit dem Volkstheater Rostock

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Mensch in der Kargheit des Lebens, bedroht von Naturgewalten
Der Mensch in der Kargheit des Lebens, bedroht von Naturgewalten

Ohne Zweifel liegt über dieser Novelle ein Hauch des Grauens. Theodor Storm schrieb »Der Schimmelreiter« im Angesicht des Todes. Die von ihm gezeichneten menschlichen Eigenschaften sind nackt, in keiner Weise geschönt. Liebe wie Dummheit, Neid und anderes sind, was sie sind.

Von einer Scheinuntersuchung des an Magenkrebs erkrankten 70-jährigen Schriftstellers ist zu Beginn der Fassung von Kay Wuschek die Rede. Mit Storms Bruder, selbst Arzt, verbündeten sich andere Mediziner, um eine bisherige Fehldiagnose zu bescheinigen. Die Lüge sollte Storm, schon von Schwermut befallen, wieder ins Leben und ans Schreiben holen. Er ließ sich darauf ein. »Der Schimmelreiter« wurde sein letztes, sein bedeutendstes Werk. Der Stoff hatte ihn – inspiriert von einer Sage an der Weichsel – schon lange beschäftigt. Doch auch in der Novelle rafft der Krebs Menschen als die alte Krankheit der Marsch dahin.

In Koproduktion haben das Theater an der Parkaue und das Volkstheater Rostock Wuscheks Version herausgebracht. Entstanden ist eine herausragende Inszenierung, ausgezeichnet gespielt. Wuschek arbeitet hier mit Gastkünstlern. Das hat Folgen für den Spielplan. Nach den aktuellen Vorstellungen ist das Stück erst wieder im Mai hier zu sehen. Auch die Ausstatterin ist Gast. Angelika Wedde versteht es, allein mit Stellwänden, Spiegeln und Licht zum einen die Kargheit des Lebens zu zeigen, zum anderen drohende Naturgewalt ahnen zu lassen. Einziger Luxus ist eine Partykugel, die glitzernd beim Dorftanz vom Bühnenhimmel kommt. In dieser Szene gönnt Wuschek der Inszenierung etwas Leichtigkeit.

In zwei Stunden sind die wesentlichen Ereignisse der Novelle mit acht Schauspielern in über 20 Rollen erzählt. Stephan Fiedler gibt den ehrgeizigen, einen allein ihm hörigen Schimmel reitenden Hauke Haien. Er vermag, große Willenskraft zu zeigen, die mit zunehmender Einsamkeit einhergeht. Auch Eitelkeit fordert ihren Preis. Sein einziger Kraftquell ist seine Frau Elke, die Tochter des bisherigen Deichgrafen Volkerts. In Liebe verbunden, sind sie jedoch beide gute Rechner, die den Nutzen ihrer Verbindung im Voraus kalkulierten, gab Storm vor. Facettenreich gespielt wird diese Elke, die niemals Schwäche zeigt, von Caroline Erdmann.

Ohne ein Lächeln verkörpert Alexander Flache den heftigsten Gegenspieler des Deichgrafen Hauke Haien, Ole Peters. Die immer wieder durch Abgaben und harte Arbeit für den Deichbau gepeinigten Bewohner des Koogs sind von ihm, der selbst Deichgraf werden wollte, leicht aufzubringen. Zudem bringt Regisseur Wuschek gut an, wie von den Leuten nicht Erklärbares zu bösem Blut führt. Das fließt am Ende. Hauke Haien wird in dieser Inszenierung damit übergossen bis er daran erstickt. Unweigerlich kommt es zur Katastrophe.

Andrea Stache Peters lässt der Regisseur als die alte Magd Trine Jans, den Aberglauben füttern. Allein, warum der Deichgraf und seine Frau die Alte sich ins Haus holen, was anständig ist, wird hier nicht deutlich. Sehr klar dagegen ist die Figur von Haiens Vater herausgearbeitet, als der Jakob Kraze überzeugt. In weiteren Rollen, die unabhängig von ihrer Größe ebenso prägnant gespielt werden, arbeiten Björn Ole Blunck, Peer Roggendorf und Paul Walther.

Das Stück ist für das Junge Staatstheater Berlin wie für das Volkstheater Rostock ein Gewinn. Kay Wuschek ist es daran gelegen, dass viele Regie-Handschriften für das Publikum im Theater an der Parkaue erlebbar sind. Was ihn nicht davon abhält, seine einzubringen. Das geschieht hier in besonderer Qualität.

10.3., 11 und 18 Uhr, 11.3., 11 Uhr, Theater an der Parkaue, Parkaue 29, Tel.: 55 77 52 51, Spielplan unter www.parkaue.de. Auch bei ausverkauften Vorst. sind Einzelkarten noch zu haben.

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