US9TU-000061DP? Der Fall Kurnaz ist abgeschlossen!

Wikileaks veröffentlichte Guantanamo-Gefangenen-Dossiers – auch zum »Bremer Taliban« gäbe es wohl Klärungsbedarf

  • René Heilig
  • Lesedauer: 2 Min.
Mindestens zwei Drittel der von den USA auf Guantanamo eingesperrten 779 Terrorverdächtigen waren und sind unschuldig oder kleine »Taliban-Lichter«. Obwohl ein Bundestags-Untersuchungsausschuss angeblich auch alle Vorwürfe im Falle des aus Bremen stammenden Häftlings Murat Kurnaz geprüft hat, könnten sich neue Fragen ergeben.

Ein 89-jähriger dementer Afghane wurde ins Gefangenencamp auf Kuba gebracht, um ihn über verdächtige Telefonnummern zu befragen. Ein 14-Jähriger hätte etwas über »lokale Talibanführer« wissen können. So wie ein Mullah aus Kandahar. Und warum war Murat Kurnaz Gefangener der USA? Welche Aussagen wollte man aus ihm herausfoltern?

Der sogenannte BND-Untersuchungsausschuss, den der Bundestag in seiner vergangenen Legislaturperiode gebildet hatte, kam letztlich zu dem Schluss: Kurnaz, der in Deutschland lebende Türke, war einfach zur falschen Zeit am falschen Platz. 2002 in Pakistan, dem Nachbarland von Afghanistan.

So wurde aus dem jungen Bremer der US-Terror-Gefangene »US9TU-000061DP« und für »Bild« der »Bremer Taliban«. Vor dem deutschen Parlamentsuntersuchungsausschuss taten sich der zu Kurnaz-Haftzeiten verantwortliche Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und sein Außenamtskollege Joschka Fischer (Grüne) schwer, als sie erklären sollten, wieso sie sich weigerten, den zur Freilassung vorgesehenen – weil unschuldigen – Murat Kurnaz wieder in die Bundesrepublik einreisen zu lassen. Angeblich hätten die USA Deutschland gedrängt, ihn »zurückzunehmen«, hieß es. Die zuständigen Vertreter der rot-grünen wie die der auf sie folgenden schwarz-roten Koalition wollten von dieser Bitte nie etwas gehört haben. Rigoros wischten sie die Unschuldseinschätzung von Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes vom Tisch, die mit dem Inhaftierten reden durften.

Da geht manches nicht zusammen, denn laut den von Wikileaks veröffentlichten Dokumenten wurde Kurnaz tatsächlich von seinen US-Kerkermeistern auch noch im Mai 2006 als ein »high risk«, also als gefährlicher Al-Qaida-Gefangener, eingestuft. Sein Wert für die Geheimdienste bewege sich im mittleren Rahmen, sein Gefährdungsgrad in der Haft wurde in einem neunseitigen Dokument als »moderat« eingeschätzt. Nur drei Monate später wurde Kurnaz nach Deutschland überstellt. Wo er seither – nachdem er ein Buch über seine Erlebnisse hat schreiben lassen – in aller Stille lebt.

Es ist nicht wahrscheinlich, dass der Entführungsfall Kurnaz noch einmal aufgenommen wird. Dazu sind die von Wikileaks veröffentlichten Fakten allein zu dünn. Und – wie schon vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages wird die Regierung bei zu brisanten Nachfragen auf ihre »exekutive Eigenverantwortung« verweisen. Und schweigen.

Das betrifft gewiss auch die Weigerung, einige der in Guantanamo gehaltenen Uiguren aufzunehmen. Auch ihre Unschuld ist in den von Wikileaks veröffentlichten Dossiers nachzulesen. Ein US-Gericht hatte Ende 2008 festgestellt, dass die Haft der Angehörigen einer chinesischen Minderheit ungesetzlich ist und sie frei gelassen werden müssen. Weil es in den USA politischen Widerstand gegen die Aufnahme der Männer gab und ihnen in China Verfolgung drohte, fragte US-Präsident Obama in Deutschland an – und erhielt eine Abfuhr.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal