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Eine Muslimin setzt sich durch

Auf den Fußballplätzen zählen Migranten längst dazu / Schiedsrichterin Gülseren Gül hat sie im Griff

  • Doreen Fiedler, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.

Gülseren Gül pfeift scharf, zieht die Gelbe Karte aus ihrer Brusttasche und reckt den Arm weit hinauf in den Berliner Nieselregen. Die nur 153 Zentimeter große Schiedsrichterin hat die Fußball-Männer voll im Griff. Die Neuköllner Sperber liegen bereits 0:6 hinten, die Landesligapartie gegen den BSC Rehberge bleibt aber friedlich.

»Echt ein grottenlangweiliges Spiel heute«, sagt die Muslimin nach dem Schlusspfiff. Für den Ausländerkritiker Thilo Sarrazin mag es so aussehen, als wollten sich Muslime nicht integrieren. Auf den Berliner Fußballplätzen gehören sie jedoch längst dazu. Etwa ein Drittel der 110 000 Mitglieder hat einen ausländischen Hintergrund, schätzt der Berliner Fußball-Verband.

Gülseren Gül geht nach dem Spiel mit den Spielern aus arabischen, türkischen, russischen und serbischen Familien ins Vereinsheim des BSC Rehberge und isst Gulasch mit Kartoffeln. »Geh in Deiner Heimat pfeifen!«, hört die Schiedsrichterin aus einer türkischen Familie immer wieder. Dabei ist die 34-Jährige in Deutschland geboren und in Schöneberg aufgewachsen. Sie lässt ihr schwarzes Haar offen und verbirgt es nicht unter einem Kopftuch. Auf der anderen Seite trägt sie im Stadion gerne den Trainingsanzug der türkischen Nationalmannschaft, mit Halbmond und Stern.

In Berlin gibt es derzeit rund 1200 Schiedsrichter, nur 55 Frauen pfeifen. Und muslimische Schiedsrichterinnen kennt der Fußball-Verband nur fünf. Gülseren Gül ist seit 14 Jahren dabei und sich ihrer Vorbildrolle voll bewusst – nicht nur für Frauen mit Migrationshintergrund. Auch die Gesellschaft soll endlich wahrnehmen, dass nicht alle Musliminnen Kopftuch und lange Hose tragen, sondern auch mal Shorts und Stollenschuhe, findet sie.

»Erstmal waren meine Eltern dagegen, dass ich Schiedsrichterin werde. Mittlerweile haben sie sich aber damit abgefunden«, erzählt Gül. Nun seien die Schiedsrichter-Kollegen wie eine zweite Familie für sie geworden. Deswegen sieht sie kein Problem darin, sich mit ihren Assistenten eine Umkleidekabine zu teilen – und erntet komische Blicke. Vielleicht ist auf dem Fußballplatz das Geschlecht tatsächlich wichtiger als die Religion.

»Geh in die Küche, Du Frau!«, rufen ihr Spieler immer wieder zu. »Dann schmeiße ich die runter und fertig. Da muss man sich durchsetzen – oder einfach weghören«, sagt Gül. Ihr Rolle als Frau und ihre geringe Größe sind für sie häufiger ein Problem als der muslimische Glauben, den man ihr ja auch nicht ansieht.

»Sonst wird ja darauf gehört, was der Mann sagt. Aber die 90 Minuten darf die Frau auch mal sagen, was sie für richtig hält«, sagt Refik Saliku (26) vom BSC Rehberge. Und Kaj Schumann vom Schiedsrichterausschuss berichtet, wie Spieler und Trainer bei der Ansprache stottern: »Herr Schiedsrichter, äh Herr Schiedsrichterin...«

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