Ein Erbe von neun Milliarden Dollar

Der indische Guru Sathya Sai Baba hinterlässt ein wertvolles »spirituelles Reich«

  • Hilmar König
  • Lesedauer: 3 Min.

In ein safranfarbenes Tuch gehüllt wurde am Mittwoch der indische Guru Sathya Sai Baba im Ashram von Puttaparthi, seiner Wirkungsstätte, unter 21 Schuss Salut bestattet. Über 500 000 Menschen hatten seit Ostersonntag ihrem Idol die letzte Ehre erwiesen. Auch Premier Manmohan Singh und die Kongressparteivorsitzende Sonia Gandhi zollten ihren Respekt und würdigten die Lebensleistung des »Gurus der Brüderlichkeit und der Liebe«. Der weltweit von Millionen wie ein Halbgott verehrte 85-Jährige starb am Ostersonntag nach langer Krankheit. Das »spirituelle Imperium«, das er hinterlässt, wird auf einen Wert von neun Milliarden Dollar geschätzt.

In dem einst unbedeutenden Dorf Puttaparthi im Unionsstaat Andhra Pradesh ist das Hauptquartier des Guru, hat das Management des Sathya Sai Central Trust seinen Sitz. Der 1972 gebildete Trust soll etwa 1200 Ableger in weit über 100 Ländern unterhalten und Bildungseinrichtungen, Hospitäler und Tempel verwalten. Sai Babas Engagement verdankt Puttaparthi den Anschluss ans Eisenbahnnetz, einen Flugplatz, eine Universität, eine hochmoderne Klinik und den Radiosender »Radio Sai Global Harmony«.

Andhra Pradeshs Chefminister ließ ihn mit allen staatlichen Ehren begraben und ordnete vier öffentliche Trauertage an. Premier Manmohan Singh betonte, Sai Baba sei eine »Inspiration für Menschen aller Glaubensbekenntnisse« gewesen. Tatsächlich legte der »Auserwählte«, für den er sich hielt, großen Wert darauf, dass seine Gefolgschaft nicht ihre Konfession wechselte. Kein Anhänger solle »seine Religion aufgeben, jeder an seinen, den einen Gott glauben«. Er fand Anklang mit seiner Betonung säkularer moralischer Werte wie Wahrheit, Toleranz, Liebe, Harmonie und Frieden.

Mit 14 Jahren behauptete er, die Reinkarnation des berühmten Sai Baba von Shirdi zu sein. Der hatte Glaubensgrundsätze der Hindus und Muslime vermischt, damit eine beträchtliche Schar von Anhängern gewonnen und den Status eines Heiligen erlangt. Seinen Reinkarnationsanspruch untermauerte Sathyanarayana Raju, so der bürgerliche Name des Sai Baba, mit zahlreichen Taschenspielertricks. So produzierte er aus Luft »heilige Asche«, Schmuck oder Uhren. Es verbreitete sich die Ansicht, er vollbringe Wunder. Die Vereinigung indischer Rationalisten warf ihm später vor, er gehe mit seinem Zauber auf Dummenfang. Sai Baba beschrieb seine Fingerfertigkeiten als »Akt göttlicher Schöpfung« und lehnte es ab, seinen Zauber unter kontrollierten, experimentellen Bedingungen vorzuführen. Er erklärte: »Der optische Sinn kann die Wahrheit nicht darstellen. Er vermittelt nur falsche und vernebelte Informationen.«

Diese Kontroverse verhinderte allerdings nicht, dass er sich immer mehr als Religions- und Kulturikone profilierte. Indische Präsidenten, Premiers, Chefminister, Spitzenpolitiker, Bollywoodstars, Sportasse oder hochrangige Armeeangehörige sahen im Baba ihr Idol. Aus dem Ausland strömten Religionstouristen in die Pilgerstätte Puttaparthi, um einen Blick des Heiligen zu erhaschen oder gar von ihm berührt zu werden.

Sai Baba verlegte sich von der Zauberei immer mehr auf Sozialarbeit und Wohltätigkeit. Ein schier unversiegbarer Spendenfluss, der nicht versteuert wird, ermöglichte das. Es entstanden Krankenhäuser, in denen Bedürftige unentgeltlich behandelt werden, Schulen in ländlichen Gebieten und städtischen Slums, beispielhafte Institutionen für höhere Bildung, ein Universitätskomplex, ein Institut für klassische indische Musik, ein Planetarium, ein Museum der Weltreligionen, Sportstadion und Sporthalle, mobile Ambulanzen, Trinkwassersysteme für hunderte Dörfer und für die tamilische Metropole Chennai (Madras) sowie in 33 Ländern Schulen. Wie es in Puttaparthi ohne Sai Baba weitergehen soll, ist offen. Einen Nachfolger hat er nicht ernannt. Er war überzeugt, dafür noch Zeit zu haben. Laut »göttlicher Eingebung« sollte er 96 Jahre alt werden.

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