Party ohne Politik
Kommentar von Martin Kröger
Der 1. Mai in Berlin-Kreuzberg ist nicht mehr das, was er mal war. Wo sich früher Autonome und Action-Hungrige stundenlange Katz-undMaus-Spiele mit der Polizei lieferten, Steine schmissen sowie Barrikaden errichteten, wird jetzt gefeiert. Vor Bühnen, in Clubs, auf der Straße. Dabei wird ordentlich gefuttert, konsumiert, getanzt und gesoffen. Meistens friedlich und ausgelassen. Das, was noch vor wenigen Jahren kaum jemand für möglich gehalten hätte, ist eingetreten: das ritualisierte Kiez-Remmidemmi inklusive Scharmützeln mit der Polizei ist befriedet – zumindest im Großen und Ganzen.
So unerklärlich, wie es manchem erscheinen mag, ist die Entwicklung indes nicht. Es gibt dafür Gründe. Einmal hat sich die Taktik der Polizei verändert: Wo früher häufig Unbeteiligte zu Schaden kamen, agieren die Beamten inzwischen weniger martialisch. Gleichzeitig haben die Polizisten die Festnahmetaktiken Jahr für Jahr perfektioniert – das wirkt sich inzwischen auch für die Beschuldigten vor Gericht aus. Und außerdem ist es dem Bezirk und Senat mit dem Myfest tatsächlich gelungen, die Massen mit einer riesigen Sause einzufangen. Die brummt Jahr für Jahr mehr, allerdings zu einem hohen Preis: Vom einstigen politischen Anspruch der Festveranstalter ist nämlich immer weniger zu spüren.
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.