Alles über Kleist in Brandenburg

Frankfurter Museumsmitarbeiter schrieb einen literarischen Reiseführer zu den Orten des Dichters

Hans-Jürgen Rehfeld berichtet in seinem Buch »Der arme Kauz aus Brandenburg« über das Leben von Heinrich von Kleist in der Hauptstadtregion und beleuchtet dabei auch Sehenswürdigkeiten, die nicht wegen Kleist bekannt geworden sind.

Hier wurde Heinrich von Kleist (1777-1811) geboren, hier wuchs der Offizierssohn auf, hier studierte er an der Universität. Doch nachdem er Frankfurt (Oder) im August 1800 verlassen hatte, besuchte er die Stadt nur noch selten. In Potsdam diente Heinrich von Kleist im Regiment Garde – »sieben unwiederbringlich verlorene Jahre«. Der militärische Drill ekelte ihn an. In Berlin versuchte Kleist den Durchbruch als Literat und scheiterte. Am Wannsee beging er Selbstmord.

Es sind selten schöne Begebenheiten, die Hans-Jürgen Rehfeld in seinem Buch über Kleist in Berlin und Brandenburg erzählen kann. Das verwundert nicht. Schließlich schreibt er über einen genialen, doch zu Lebzeiten ziemlich erfolglosen Autoren, den beständig Geldsorgen plagten, der ein tragisches Ende nahm. »Der arme Kauz aus Brandenburg«, heißt das Buch folgerichtig. Es widmet sich Orten, wo Kleist entweder selbst gelebt hat, oder wo Menschen wohnten, die seinen Lebensweg kreuzten und Einfluss nahmen.

Mancher Ort hinterließ Spuren im literarischen Schaffen. Gerade Frankfurt jedoch hat in dieser Hinsicht wenig zu bieten. Allerdings steht dort das Kleist-Museum. Untergebracht ist es in der alten Garnisonsschule für die Soldatenkinder. Zu den Mitarbeitern gehört seit 2006 Diplombibliothekar Rehfeld. Sein Buch über Kleist versteht sich als literarischer Reiseführer. Das bringt es mit sich, dass Rehfeld Sehenswürdigkeiten vorstellt, Sehenswürdigkeiten, die manchmal mit Kleist beim besten Willen nichts zu tun haben. Das lenkt vom Eigentlichen ab, leider. Als Reiseführer im engeren Sinne taugt das Buch ohnehin nicht. Dafür ist der Serviceteil mit Adressen, Öffnungszeiten und Telefonnummern viel zu dünn.

Interessant wären eine tiefgründige Suche nach den Spuren Kleists und eine Darstellung der Zeitumstände. Hier leistet Rehfeld durchaus Großartiges. Gut getroffen hat er die Epoche von der Französischen Revolution über die Doppelschlacht von Jena und Auerstedt bis hin zu den napoleonischen Befreiungskriegen, deren Ende Kleist nicht mehr erlebte. Rehfeld erzählt von den Salons, in denen über Kunst und Politik diskutiert wurde. Vorangestellt hat er dem Buch Zitate. Ein sehr treffendes stammt von Arnold Stadler. Der sagte 2009, als er den Kleist-Preis verliehen bekam: »Die Lächerlichkeit des Systems der Welt, in der Kleist zu leben hatte, ermesse ich zum Beispiel daran, dass der ›Prinz von Homburg‹ nicht gespielt werden durfte, weil darin ein General in Ohnmacht fällt.«

Noch angehen mag die Beschreibung von Paretz. Dort verbrachte der Kronprinz und spätere König Friedrich Wilhelm mit seiner berühmten Frau Luise glückliche Tage. Am 2. September 1797 musizierten für das Paar als Bergleute verkleidete Potsdamer Offiziere. Vermutlich handelte es sich bei dem Quartett um Heinrich von Kleist und seine Freunde. Kleist spielte Flöte und Klarinette, sang sehr gut und soll auch komponiert haben, vermerkt Rehfeld. Er schreibt, Kleist habe sich eingebildet, eine regelmäßige Unterstützung von Luise zu empfangen, weil ihn die tatsächliche Stifterin des Geldes in dem Glauben ließ.

Deplatziert wirkt zum Beispiel das Kapitel über Neuhardenberg. Schließlich heißt es, Kleist sei niemals dort gewesen. Von Bedeutung ist hier nun einmal nicht das Dorf, sondern der spätere Gutsherr, Staatskanzler Karl August von Hardenberg. Kleist gab von 1810 bis März 1811 die »Berliner Abendblätter« heraus. Zunächst machte diese erste Tageszeitung der Hauptstadt Furore. Für reißenden Absatz sorgten die Polizeiberichte, für reges Interesse ein politischer Streit um Reformen. Probleme bereiteten dann die spöttischen Kritiken, die sich Theaterdirektor Iffland gefallen lassen musste, nachdem er die Aufführung von Kleists »Käthchen von Heilbronn« zurückgewiesen hatte. Die Attacken gipfelten in Anspielungen auf Ifflands Homosexualität. Der Theaterdirektor nutzte seine Beziehungen zu Staatskanzler Hardenberg und erreichte eine strenge Zensur. Die »Abendblätter« wurden langweilig, der Verlag machte Verlust und gab die Zeitung auf.

Rehfeld trägt akribisch zusammen, mit wem und wo Kleist zusammentraf. Dabei tut er zu viel des Guten. Leser sollten gar nicht erst versuchen, alle Verwandtschaftsverhältnisse und Freundschaftsbeziehungen zu durchschauen. Es soll hier aber keineswegs der Eindruck entstehen, es lohne sich nicht, dieses Buch zu kaufen und zu lesen. Es lohnt sich! Denn die akribische Arbeitsweise Rehfelds, die so wirkt, als habe er nichts, aber auch gar nichts ausgelassen, was sich zum Thema sagen ließe, sie hat auch Vorteile. Eine versunkene Welt wird lebendig. Rehfeld erweckte sie zum Leben – am Beispiel jenes Schriftstellers, der uns Werke wie »Der zerbrochne Krug« und »Michael Kohlhaas« schenkte.

Hans-Jürgen Rehfeld: »Der arme Kauz aus Brandenburg«, Findling, 248 Seiten (brosch.), 12 Euro, ND-Buchbestellservice, Tel.: (030) 29 78 17 77

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