Abziehbild

Max Frischs »Montauk«

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Geografisch ist Montauk eine Ansiedlung auf einer Landzunge auf Long Island im Bundesstaat New York. Benannt ist sie nach einem lange ausgerotteten Indianerstamm, den Montaukett. Literarisch wurde der Ort durch Max Frischs autobiografische Erzählung eines Liebeswochenendes in eben jener Gegend im Mai 1974 bekannt. Frisch versuchte sich dabei am indirekten Beweis seiner Maxime, dass er die interessantesten Erfahrungen nicht im Leben, sondern beim Schreiben mache. Im Falle von »Montauk« versucht er das Erlebte unmittelbar in Sprache zu übersetzen.

Zum dritten taucht Montauk in der schrägen Verschwörungstheorie des Montauk-Projekts auf. Demnach sollen auf einem bei Montauk gelegenen, in den 80er Jahren geschlossenen Armee-Stützpunkt umfangreiche Experimente zum Abhören und sogar Beeinflussen von Gedanken von Millionen von US-Bürgern durchgeführt worden sein.

Montauk stellt also einen Kreuzungs- und Verdichtungspunkt von Information, Imagination und Realitätserkundung dar.

In der Inszenierung »Montauk« im Theaterdiscounter ist lediglich eine für die 70er Jahre modellhafte Wohnküche an gemaltem Gewässer zu sehen. Dort trifft eine Frau (Ursula Renneke), die den Eindruck macht, sehr gern sehr viel zu lesen, die dabei erlebten Abenteuer aber tief in sich verschlossen zu halten, auf einen Mann. Er (Peter Jecklin) stellt sich offensichtlich gerne in den Vordergrund, surft dabei aber mit Vorliebe virtuos über die Oberflächen.

Mit der von Frisch geliehenen Grundkonstellation korrespondiert dies allenfalls in der Person der Protagonistin Lynn. Die ist bei Frisch die Angestellte eines Verlags, die den geschätzten Autor umsorgt, sich ihm zusehends nähert – und nach dem amourösen Wochenende wieder ihrer Wege geht, ohne sich umzublicken.

Das ist nicht viel; dieses Wenige macht Renneke gut. Allerdings scheint bei ihrer Figur kaum etwas von den anderen Geliebten durch, derer Frisch in »Montauk« ausführlich gedenkt. Vor allem Ingeborg Bachmann nimmt dort großen Raum ein. In der Inszenierung von Theaterdiscounter-Gründer Georg Scharegg muss man schon das ganz große und sehr empfindlich eingestellte Literatur-Interpretationsbesteck dabei haben, um Spuren von ihr zu finden. Echte Frisch-Liebhaber, von denen einige nach Ende der Vorstellung die Hände zu heftigem Applaus zusammenschlugen, waren wahrscheinlich so ausgestattet.

Wenn sie ihren Frisch und die an diesem Abend Max genannte Figur ebenfalls in Abgleich bringen konnten, dann wären sie wahrhaftige Virtuosen. Denn von ihm präsentierte Jecklin lediglich das Abziehbild eines kauzigen, möglicherweise junge Frauen verschlingenden Literaten. Wenig ist von Frischs interessanter Ich-Er-Konstruktion in der Erzählung zu erkennen. Das Ich markiert die reichen Erinnerungen des Schriftstellers, das Er den Protagonisten des Wochenendes. Bei Jecklin (und Regisseur Scharegg) vermischt sich beides auf schludrige Weise.

Dass in dieser Version die Geister der Montaukett kaum und der Grusel des Montauk-Projekts gar nicht auftauchten, ist kein Mangel; wenngleich so eine Konstellation interessant wäre. Dass aber (anlässlich Frischs 100. Geburtstag) »Montauk« so farblos auf die Bühne gebracht wird, ist bedauerlich.

13.-15.5., 20 Uhr, Theaterdiscounter, Klosterstr. 44, Tel.: (030)-28 09 30 62

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