Mobilitätsdienste auf der Kippe?

Heidi Knake-Werner ruft die Bundespolitik zur Unterstützung auf / Knake-Werner ist Vorsitzende der Berliner Volkssolidarität. Bis 2009 war sie Sozialsenatorin

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Fragwürdig: Mobilitätsdienste auf der Kippe?

ND: Unter dem Motto »Draußen spielt das Leben – wir bringen Sie hin« rief der Berliner Senat die Mobilitätshilfsdienste ins Leben. Sie bieten Älteren und Behinderten Begleitung zu Behörden, Ärzten oder Bekannten. Bundesweit ist dies einmalig. Jetzt ist der bewährte Begleitservice bedroht. Warum?
Knake-Werner: Die Mobilitätshilfsdienste sind von Strukturänderungen in zweierlei Hinsicht betroffen: Zum einen geht die Wehrpflicht zu Ende und damit auch der Ersatzdienst. Der Freiwilligendienst, der stattdessen eingerichtet werden soll, kommt nicht in Gang. Zum anderen sind die meisten Mobilitätshelfer öffentlich gefördert. Es gibt MAE-Kräfte – sogenannte Ein-Euro-Jobber –, aber auch Beschäftigte im Öffentlichen Beschäftigungssektor. Jetzt findet aber ein Umdenkungsprozess bei der Bundesregierung statt: Die Ein-Euro-Jobs seien inzwischen nicht mehr tauglich, um die Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, heißt es. Deshalb reduziert Arbeitsministerin von der Leyen (CDU) die öffentlichen Mittel dafür.

Die Jobcenter bewilligen den Mobilitätsdiensten keine Ein-Euro-Jobs mehr?
Die örtlichen Jobcenter genehmigen weniger Stellen, weil unklar ist, wie es weitergeht. Berlin erhält ohnehin von der Bundesagentur für Arbeit weniger Mittel für die öffentlich geförderte Beschäftigung. In den unterschiedlichen Bereichen muss gekürzt werden.

Trifft das die Mobilitätsdienste jetzt schon?
Die Einsparungen sind spürbar. Auslaufende Beschäftigungen werden oft nicht mehr ersetzt. Wir als Volkssolidarität betreuen zwei Mobilitätsdienste – einen in Marzahn-Hellersdorf, einen in Treptow-Köpenick. Insgesamt hatten wir 53 Helfer für 370 Klientinnen und Klienten. Es droht, dass wir ab Juni nur noch acht Helfer in Treptow-Köpenick haben sowie elf Beschäftigte in Marzahn-Hellersdorf. Viele Terminwünsche können wir nicht mehr erfüllen. Von einer gleichberechtigten Teilhabe kann dann keine Rede mehr sein. Dabei muss aus sozialpolitischer Sicht dieses Angebot Bestand haben. Wenn man will, dass die Älteren und Mobilitätseingeschränkten am Leben in der Stadt teilhaben sollen, dann sind diese Dienste unverzichtbar. Die Alternative dazu wäre, sie auf die eigenen vier Wände zu beschränken. Aber das kann nicht das Ziel sein.

Gibt es Lösungsansätze?
Wir haben mit der Sozialsenatorin Carola Bluhm (LINKE) gesprochen, aber die kann hier nur eingeschränkt entscheiden. Der Senat leistet bereits einen wichtigen finanziellen Beitrag. Wichtig sind die Trägerversammlungen in den Bezirken. Hier müssten die Vertreter Druck auf die Bundesagentur für Arbeit und auf die Bundesregierung entfalten, damit neue Beschäftigungsmaßnahmen geschaffen werden.

Sie fordern, dass Ehrenamtliche und öffentlich Beschäftigte den Engpass beheben. Müssten es nicht Fachkräfte sein?
Ehrenamt ist kein Gegensatz zur professionellen Arbeit, sondern in vielen Fällen eine unverzichtbare Ergänzung. Unmittelbare Nachbarschaft ist Sozialarbeit in der kleinsten Zelle. Zwischenmenschliche Beziehungen sind unverzichtbar. Aber: Man braucht qualifizierte Kräfte, um die Ehrenamtlichen anzuleiten. Wenn diese Fachleute wegbrechen, wird es schwer.

Wie geht es weiter?
Noch ist das völlig unklar. Es kann tatsächlich sein, dass die Freiwilligendienste diese Lücke auffüllen. Aber das ist leider jetzt noch nicht absehbar.

Interview: Stefan Otto

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