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Architektonische Skulpturen

Friedrich B. Henkel stellt in der Galerie im Turm aus

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

Für den in Bernau und Biesenthal lebenden Friedrich B. Henkel sind Mensch und Landschaft, Natur und Architektur, Geometrisches und Kubisches die Konstanten seiner bildhauerischen Arbeit. Die georgischen Höhlensiedlungen hatten ihn 1967 und 1970 zu einer Folge von Reliefs angeregt, in denen die Landschaft als Körper oder körperhafter Raum fungierte. Als Ergebnis einer Rumänienreise 1974 schuf er mehrfigurige Gruppierungen, häufig in bemalter Bronze – wie blockhafte, lineare Silhouetten vor dem weiten Horizont hatte er die Bauern der Maramures auf den Feldern erlebt.

Aus unterschiedlichen Steinen, mit polierten, geometrisch geschnittenen oder rauen, amorph gebrochenen Flächen, auch mit grafischen Ritzungen, setzte er architektonische Formen zusammen. Diese Steincollagen assoziieren Hockende, Schreitende, Aufgerichtete, man kann sie für eine menschliche Gestalt, einen Felsen oder ein vegetatives Gebilde halten. Henkel wollte ihnen Dauer und Beständigkeit verleihen, gereinigt von den Zufälligkeiten des Vergänglichen. Seine Figurationen hatten netzartige Strukturen, in Form von Übermalungen.

Zwei Italien-Aufenthalte 1979 und 1983 erbrachten dann neue Formverwandlungen: Die menschliche Figur als Statue und die Landschaftsdarstellung im Relief wurden jetzt auf eigentümliche Weise verschmolzen. Henkel arbeitete mit Überlagerungen und Kontrastierungen im Zusammenprallen von Kulturtradition und Gegenwartstrivialität. Seine Reliefs kombinieren Gegenstände und fügen sie als überraschende Versatzstücke ein; auf einer Anhöhe gelagerte Häuserkuben werden etwa von dem versehrten Antlitz einer römischen Göttin bekrönt. Welche Formen erzeugen der geometrisch-abstrakte Block, das freistehende Relief, die zweidimensionale Fläche oder die offene Struktur, welche Räume nehmen sie ein und umschreiben sie, welche besonderen Kontraste, Rhythmen und Spannungen gehen von ihnen aus?

Angeregt von Chirico und der Pittura metafisica, der surrealistischen Malerei Italiens, die mit raumgreifenden Perspektiven und Architekturen Unwirkliches gegenwärtig machten und Harmonie zu schwermütigen Träumen gerinnen ließen, bediente sich Henkel bewusst Brechungen, um nicht der Vollkommenheit einer Kulturlandschaft zu erliegen. Den italienischen »vegetativen Landschaften« sollten sich dann die »Biesenthaler Landschaftsfiguren« hinzugesellen; hier erprobte er ein für ihn neues Material, den Steinguss, und stilistisch das Ausbalancieren von Statik und Proportion seiner Körperfiguren.

Unter dem Titel »Irdische Zeichen« – ein Wort der russischen Lyrikerin Marina Zwetajewa – präsentiert Henkel jetzt Skulpturen und Arbeiten auf Papier der letzten zwei Jahrzehnte. Sie sind seinen Aufenthalten auf den Kykladen gewidmet, jener zu Griechenland gehörenden Inselgruppe im südlichen Ägäischen Meer, deren Häuser und Ortschaften im strahlenden Weiß des Inselmarmors einen überwältigenden Anblick bieten. Solche architektonischen Gefüge aus Räumlichkeit und Plastizität stellen auch »Katikia (Kykladisches Bauernhaus) I und 2« (1996), Kykladisches Tor« (1996, alle Marmor), »Chora (Zentrum einer kykladischen Stadt) 2« (1999, provencalischer Kalkstein), die ins Meer reichende »Steinwand Kolymphithres« (1996/97), »Kykladische Zeile« (2001, beide Marmor), »Kykladische Kapelle« (2009, Speckstein) oder »Haus – Zeichen« (2009, Kalksandstein) dar. Es sind dies Formationen, die Prozesse, Leben festhalten, die Wandlung, Faltung und Entfaltung veranschaulichen. Geometrische Körper, Würfel, Quader, Halbkugeln, Bögen, Öffnungen und Durchbrüche. Scharfe Schnitte im Stein erzeugen eine ungeheure Spannung. Gebrochene, unregelmäßige Kanten kontrastieren mit verschliffenen. Ein Wölben, ein Überspannen der plastischen Volumen, ein Wechselspiel von Stützen und Lasten, von Kräften und Gegenkräften, die zum emotionalen Ausgleich gebracht werden. Arbeiten, nicht nur in der Rundum-Ansicht, sondern auch in der Draufsicht zu betrachten, so dass die Häuserkuben wie in die Fläche zurückgekippt erscheinen. »Ich habe mir meinen Kulturkreis erobert, den arbeite ich ab«, sagte der Künstler vor Jahren.

Wie ein Eigenkommentar erscheint »Ein Lebenslauf 1« (2006, hellroter Sandstein), ein Formenverlauf im Zickzack, der sich aber doch zum Ganzen schließt. »Melancholie. Hommage à Werner Heldt« (2009, Carrara-Marmor kontra Rhönbasalt) wiederum assoziiert Motive dieses Berliner Malers, bei dem in Fensterausblicken und abstrahierenden Kompositionen die Stadt als »nature morte« – als Stillleben – zum Stillstand kam. In faszinierender Weise werden in Henkels Arbeiten Kräfte und Energien sichtbar, die der Künstler im Gestaltungsprozess als Widerstand und Überwindung erfährt. Reales und Irreales, Gegenständliches und Abstraktes, Erlebtes und Erahntes kommen hier zusammen.

Bis 20. Mai, Galerie im Turm

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