Übersetzen für 100 Millionen Menschen

Deutsch-Dolmetscher bei den UN in New York

  • Chris Melzer, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Etwa 100 Millionen Menschen sprechen als Muttersprache Deutsch – nur bei den Vereinten Nationen (UN) nicht. Deutsch ist keine offizielle UN-Sprache – aber die einzige mit einem ganz speziellen Übersetzungsdienst.

New York/Mainz. An das Wort »nachhaltig« mag sich Monika Torrey noch immer nicht so recht gewöhnen. »Eigentlich ist es falsch, aber mittlerweile hat es sich ja völlig durchgesetzt.« Deutsch ist das tägliche Brot der Mainzerin und im gewissen Sinne hört ganz Deutschland auf sie: Monika Torrey ist Chefin des deutschen Übersetzungsdienstes bei den UN. Alles, was bei der Weltorganisation ins Deutsche übersetzt wird, geht durch die Hände der Rheinland-Pfälzerin.

Sechs offizielle Sprachen gibt es bei den UN. Zumeist wird zwar Englisch und Französisch gesprochen, doch alle Dokumente werden auch ins Spanische, Chinesische, Arabische und Russische übersetzt – von den UN, auf Kosten der UN. Mit Deutsch ist das etwas anderes. Denn als die Vereinten Nationen 1945 gegründet wurden, wollte die Welt von Deutschland nichts hören. Und deutsche Muttersprachler, von der Minderheit im Gründungsmitglied Belgien abgesehen, gibt es bei den UN erst seit 1955, als Österreich aufgenommen wurde. Erst als 1973 gleich zwei deutsche Staaten beitraten, war Deutsch wieder ein Thema.

Deutschsprachige Länder teilen die Kosten

»Deutsch zu einer offiziellen UN-Sprache zu machen, wurde leider nicht realisiert«, sagt Torrey. »Aber die Bundesrepublik, Österreich und die DDR wollten die deutsche Sprache fördern. Deshalb wurde unser Dienst gegründet.« Ein Staatsvertrag musste her, schließlich teilten sich diese drei Länder lange die Kosten. Denn die UN zahlen keinen Cent. Im Gegensatz zu den anderen sechs Übersetzungsdiensten wird der deutsche ausschließlich von den deutschsprachigen Ländern finanziert – ein einmaliges Konstrukt in den UN der 192 Staaten.

»Es macht immer noch Spaß, auch nach sieben Jahren noch«, sagt Tanja Herron. Die Wormserin kam wegen der Liebe nach New York, geblieben ist sie wegen der Liebe zur Sprache. »Es sollte nur ein Jährchen sein, aber die Stadt lässt mich genau so wenig los wie die UN.« Sie versucht, die Flut der Wörter zu ordnen: »Unser Auftrag sieht nicht vor, dass wir jedes Dokument übersetzen, dazu sind wir viel zu wenige. Aber alle Beschlüsse der Generalversammlung und UN-Berichte soll es auf Deutsch geben und die Resolutionen des Sicherheitsrates sowieso.«

Übersetzen »auf Messers Schneide«

Was nicht immer ganz einfach ist, schließlich wird im mächtigsten UN-Gremium hohe Diplomatie gemacht und die hinterlässt die Übersetzer zuweilen ratlos. »Nicht selten bleiben die Dokumente absichtlich vage. Und hin und wieder wird sogar bewusst ein grammatikalisch falsches Englisch genutzt, um Formulierungen zu verstärken oder abzuschwächen«, sagt Torrey. »Wir tanzen da auf Messers Schneide.«

Als der Dienst zum Beispiel das englische »inclusion« im Behindertenrecht mit »Integration« übersetzte, kam Protest von den Behindertenverbänden. Die fühlten sich durch das Wort herabgesetzt und bestanden auf »Inklusion« – auch wenn dies viele nicht gleich verstehen. Deshalb nutzen die Mitarbeiter auch nur mit Bauchschmerzen das Wort »nachhaltig«, wenn es um Umweltschutz geht. Früher stand da »bestandfähig«.

»Deutschsprachige UN-Dokumente stoßen in der Öffentlichkeit schon auf Interesse«, sagt Herron. Nicht umsonst gebe es einen beachtlichen Verteiler, an den der Dienst seine Übersetzungen schicke. Bezahlt werden die elf Mitarbeiter zu 90 Prozent aus Deutschland. Die DDR war zwar schon acht Jahre vor ihrem Ende abgesprungen, dafür waren in den 90er-Jahren die Schweiz und Liechtenstein dazugekommen. »Unser Etat liegt bei 1,5 Millionen Dollar im Jahr, aber wir geben nur immer etwa 1,2 Millionen aus«, sagt Torrey ein wenig stolz. »Unsere Haushälter sind zwar immer verwirrt und sagen, wir müssten die veranschlagten Gelder doch auch ausgeben. Aber vielleicht ist sparsames Wirtschaften ja auch ein bisschen deutsch.«

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal