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Stressabbau mit Heiterkeit

Verein fördert das gemeinsame Singen in Gesundheitseinrichtungen

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 3 Min.
Im ersten »singenden Krankenhaus« Bayerns, der Münchner Paracelsus-Klinik, erfahren Patienten, wie wohltuend gemeinsames Musizieren sein kann.
Stimmung im Krankenhaus
Stimmung im Krankenhaus

Immer wieder singen sie dieselbe Melodie, dieselben Worte, mal leise, mal lauter, mal murmelnd, mal energisch. »Der Fluss geht auf die Reise, stetig und leise« beginnen sie wieder. Irgendwann verstummt die Musik. Man hört das gleichmäßige Atmen von zehn Menschen, die im Kreis sitzen. Sind wir wirklich im Krankenhaus? Weiße Kittel, Desinfektionsmittel oder Metallbetten scheinen in weite Ferne gerückt. Dennoch sind die meisten Menschen, die sich hier gegenübersitzen, Schmerz-Patienten der Münchner Paracelsus-Klinik. Sie ist das erste zertifizierte »Singende Krankenhaus« in Bayern.

Es sind Unfallopfer, Migräne-Patienten, Menschen mit chronischen Rücken- oder Knieproblemen, die in dem Krankenhaus an einem Programm zur Schmerz-Bewältigung teilnehmen. Dazu gehört der Singkreis, den die Sozialpädagogin Annemarie Denk meist einmal pro Woche veranstaltet – ein freiwilliges Angebot, das auch allen anderen Patienten offensteht. Gesungen werden eingängige Melodien mit einfachen Texten. »Wir sind kein Chor, bei dem es darum geht, richtig zu singen«, erklärt Denk, die eine zusätzliche Ausbildung als Singleiterin für Singende Krankenhäuser absolviert hat. »Wir haben keine Noten. Niemand kann falsch singen«, betont sie. Dadurch können sich die Patienten leichter auf sich selbst besinnen und in einen meditativen Zustand geraten, bei dem sie ihre Schmerzen vergessen.

Von der Wirkung sind die Patienten zum Teil selbst überrascht: »Man spürt beim Singen innerlich die Vibrationen. Der Schmerz ist auf einmal wie abgeschaltet«, berichtet zum Beispiel Doina Steier, die an argen Halswirbel-Problemen leidet. Auch Saima Sefer, die chronische Rückenschmerzen hat, sagt: »Vor einer Stunde hatte ich noch Migräne. Jetzt, nach ein paar Liedern, ist sie weg. Ich weiß auch nicht, wie so etwas sein kann.« Über solche Berichte freut sich der Ulmer Musiktherapeut Wolfgang Bossinger. »Das Singen ist eine machtvolle Ressource«, sagt er. Studien haben gezeigt, dass es positiv auf die Gesundheit wirkt: Bei einer großen Befragung von mehr als 1000 Mitgliedern von Laien-Chören in England, Australien und Deutschland gaben etwa 90 Prozent der Teilnehmer an, dass Singen ihre Laune verbessere. Fast ebenso viele erklärten, dass es zum Stressabbau und Wohlbefinden beitrage.

Studien aus den USA, Italien und Brasilien bestätigen, dass gemeinsames Singen positive Effekte bei chronischen Krankheiten wie Asthma, aber auch Parkinson und Alzheimer hat.

Um das gemeinsame Singen in Gesundheitseinrichtungen zu fördern, hat Bossinger im vergangenen Jahr den Verein »Singende Krankenhäuser« gegründet. Er verleiht Gesundheitseinrichtungen, die sich in dem Bereich engagieren, ein entsprechendes Zertifikat. Bis zum Jahresende sollen etwa 20 Kliniken, Seniorenheime und Arztpraxen in Europa die Auszeichnung haben. Sie verfolgen mit ihren Angeboten unterschiedliche Ziele: So will etwa die Psychiatrische Klinik Lüneburg ihre Patienten durch gemeinsames Singen vor der Isolation bewahren, die Initiative »LebensWert« in Köln möchte Krebspatienten neuen Mut geben, bei dem Schweizer Paraplegiker-Zentrum soll das Singen Querschnittgelähmten helfen, zurück ins Leben zu finden.

Nach einer kleinen Pause haben sich die Schmerzpatienten der Paraceslus-Klinik wieder zusammengesetzt. Fröhlich singen sie ein afrikanisches Volkslied und tanzen im Kreis. Die Stimmung wird immer heiterer. Beim letzten Lied, sagt Annemarie Denk, sollten die Patienten ruhig Blickkontakt zu den anderen aufnehmen. »Du bist liebenswert«, heißt der Text. Reihum blicken sich die Teilnehmer an, manchmal muss jemand kichern, andere lächeln. Am Schluss scheinen alle wie gelöst. »Ich beobachte immer wieder, wie die Patienten zu Beginn des Treffens ein todernstes Gesicht machen, aber irgendwann anfangen zu lächeln«, sagt Annemarie Denk. »Wir erleben hier oft berührende Momente, manchmal geht es auch sehr lustig zu. Eine Patientin sagte mir mal nach einem Treffen, sie habe seit 15 Jahren nicht mehr so gelacht.«

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