Weniger Arbeitslose, mehr Sperren
Zwei Anfragen der LINKEN bringen Fehlentwicklungen in der Erwerbslosenpolitik zutage
Oftmals sind es die Kleinen Anfragen der Oppositionsfraktionen, die bestehende Defizite deutlich aufzeigen. Unter Federführung der sozialpolitischen Sprecherin der Linksfraktion, Katja Kipping, hatte man zwei Kleine Anfragen zu Arbeitsmarktpolitik und Grundsicherung eingereicht. Die nun vorliegenden Antworten der Bundesregierung offenbaren den grundsätzlichen Fehler des Systems – es verhindert keine Einkommensarmut. So lag die Armutsrisikogrenze im Jahre 2008 bei 935 Euro während das durchschnittlich gezahlte Arbeitslosengeld (ALG I) mit 746 Euro deutlich darunter lag. Hartz-IV-Empfänger lagen sogar rund 300 Euro unter der Risikogrenze.
Die Zahlen der Regierung belegen auch, dass das System fehleranfällig ist. Deutlichstes Indiz: Die Erfolgsquote von Widersprüchen und Klagen gegen Bescheide vom Amt. So betrug die Erfolgsquote beim ALG I im vergangenen Jahr fast 40 Prozent. Im Klartext heißt das: Beinahe die Hälfte aller Bescheide war fehlerhaft! Auch fast ein Drittel aller Hartz-IV-Bescheide erwiesen sich nach eingelegtem Widerspruch als nicht korrekt. Und wer als Arbeitsloser gegen die Behörde vor Gericht zog, hatte gute Chancen, sich durchzusetzen: Im Jahr 2010 waren jeweils mehr als 30 Prozent der arbeitslosen Kläger in ALG I und Hartz IV vor Gericht erfolgreich.
Brisant auch: Sperrzeiten und Sanktionen nehmen zu, obwohl die Anzahl der Leistungsberechtigten abgenommen hat. So musste jeder sechste erwerbsfähige Hartz-IV-Bezieher Sanktionen hinnehmen. Sanktionen sind Leistungskürzungen. Im Extremfall werden die Betroffenen auf Null-Diät gesetzt. Dann zahlt das Jobcenter keinen Cent mehr. Oftmals zu Unrecht, wie sich dann in den Gerichtsverfahren erweist. Von den rund 7000 erledigten Klagen gegen diese Strafmaßnahmen waren 60 Prozent erfolgreich. Auf Antrag der Linksfraktion wird das fragwürdige Sanktionssystem am kommenden Montag auch Gegenstand einer Bundestagsanhörung.
Doch nicht nur Hartz IV-Betroffene werden mit Sanktionen schikaniert. Auch Bezieher von Arbeitslosengeld, einer reinen Versicherungsleistung, werden immer häufiger mit Sperrzeiten belegt. Nach Angaben der Bundesregierung wurden im vergangenen Jahr mehr als 765 000 solcher Sperrzeiten verhängt. Somit wurden bis zu drei Viertel aller Arbeitslosen im SGB III für angebliches Fehlverhalten mit Leistungsentzug bestraft. Wer nun glaubt, hier würden vor allem faule Arbeitslose sanktioniert, der irrt. Weit weniger als zehn Prozent aller Sperrzeiten wurden wegen »Arbeitsablehnung« oder »Abbruch der Eingliederungsmaßnahmen« verhängt. Dafür gab es mehr als 500 000 Sperren wegen »verspäteter Arbeitssuchendmeldung« oder einfach wegen eines »Meldeversäumnisses«.
Diese Sanktionswut der Ämter wirkt besonders fragwürdig, wenn man bedenkt, dass sich das Verhältnis zwischen offenen Stellen und Arbeitslosen in den vergangenen Jahren kaum verändert hat. Je nachdem, ob man die geschönten Arbeitslosenzahlen der Bundesregierung oder die wirkliche Quote heranzieht, beträgt das Verhältnis 1 zu 9 bzw. 1 zu 12. Das heißt, auf zwölf Erwerbslose kommt ein freier Arbeitsplatz.
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